Wofür steht die Fête de la Musique?
Shownotes
In der ersten Folge ihres neuen Interview-Formats unterhält sich Generalsekretärin Antje Valentin anlässlich der Fête de la Musique mit Morena Piro, Leiterin des Netzwerks Fête de la Musique. Das Netzwerk ist seit diesem Jahr auch Mitglied im Deutschen Musikrat.
Am 21. Juni verwandelt die Fête de la Musique Städte und Gemeinden in ganz Deutschland wieder in lebendige Bühnen. Alle sind herzlich eingeladen, Teil davon zu sein – ob mit eigenen musikalischen Beiträgen oder die Vielfalt der Musik genießend. Das diesjährige Motto lautet „Musik verbindet“ und resoniert auch mit dem Jahresthema des Deutschen Musikrats: Musik und Demokratie.
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Der Podcast des Deutschen Musikrats mit Antje Valentin
Folge: Fête de la Musique
Autorin: Antje Valentin (AV)
Gast: Morena Piro (MP)
„Dass es diese tollen, engagierten Menschen gibt, die dann bei sich, auch wenn ihnen Farbbeutel ans eigene Wohnhaus geworfen werden, laut bleiben und die Fête weiter organisieren…“
Antje Valentin: Hallo und guten Tag, ich bin Antje Valentin, Generalsekretärin des Deutschen Musikrats und begrüße Sie herzlich zu meiner neuen Podcast-Reihe, in der ich mit spannenden Menschen aus Musik und Politik spreche. Heute ist Morena Piro aus Hannover mein Gast.
Sie ist Koordinatorin des Netzwerks Fête de la Musique, also des Netzwerks, in dem die Städte zusammengeschlossen sind, in denen dieses Fest der Musik jedes Jahr am 21. Juni gefeiert wird. Wir als Deutscher Musikrat sind Partner des Netzwerks Fête de la Musique in Deutschland und freuen uns, dass das Fête de la Musique Netzwerk auch inzwischen Mitglied im Deutschen Musikrat ist.
Liebe Morena, aber bevor wir zur Fête de la Musique kommen, erzähl doch mal was von dir selbst. Wie kommt es, dass du jetzt Koordinatorin für die Fête de la Musique in Deutschland geworden bist?
Morena Piro: Hallo Antje, danke für die Einladung. Ich freue mich sehr, hier zu sein.
Vielleicht fange ich ganz vorne an. Ich bin in einem Gastarbeiterhaushalt groß geworden. Mein Vater kam aus Neapel in den 60er Jahren und ist nach Deutschland gekommen, um in Deutschland sein Glück zu finden und hat hier ein Geschäft eröffnet, ein Restaurant eröffnet und war der erste Italiener in Hannover.
Und ich möchte damit sagen, dass ich eigentlich aus einer Familie komme, in der Musik spielen, Instrumente spielen, zur Musikschule gehen etc. nicht stattgefunden hat. Und wir waren nicht nur eine Familie, die die ersten Restaurants in Hannover hatten, sondern mein Vater war sehr geschäftstüchtig und sehr gut vernetzt.
Und er war auch mit einer der ersten, die dann auf so Stadtfesten und so Pizza verkauft haben. Und da war ich also als kleines Kind schon immer auf solchen Veranstaltungen dann auch mit und habe dann natürlich geholfen, mit Pizza zu verkaufen. Aber mich hat es schon immer zu diesen Bühnen und Veranstaltungsorten hingezogen und ich wollte eigentlich immer hinter der Bühne sein oder am Rand mit dem Klemmbrett.
Die Leute fand ich immer viel spannender. Jetzt mache ich vielleicht mal einen kleinen Sprung. Dann irgendwie nach der Schule wollte ich dann sofort nach Frankreich, weil ich die Sprache so gerne mochte und habe auch mehrfach in Paris gelebt und hab dort natürlich die Fête de la Musique auch erlebt und auch sehr genossen.
Also ich habe beruflich eigentlich lange was anderes gemacht und war eher im Sales unterwegs und bin dann für die Liebe nach Hannover zurückgezogen. Und mein Mann hat damals das Regionalbüro von Viva betrieben und das Regionalbüro von Viva war im Musikzentrum in Hannover angesiedelt. Und als ich dann nach Hannover kam, hat mir der damalige Geschäftsführer des Musikzentrums eine Stelle angeboten, wo es darum ging, man nannte das damals so, lernferne Gruppen an Musik heranzuführen.
Da bin ich dann aber so Stück für Stück reingekommen und habe dann auch nach zwei Jahren in diesem Projekt arbeiten mein eigenes Projekt entwickelt. Das hieß damals Musik in Hainholz und hatte das Ziel, einen sozial benachteiligten Stadtteil über Musik zu musikalisieren, sagen wir so. Das, was ich dort gelernt habe, ist, dass wir wirklich Brücken bauen können über Generationen, zu allen Menschen, wenn wir die Musik als Mittel nehmen.
AV: Das zeigt mal wieder, wie unterschiedlich Musik gelebt werden kann. Und es klingt so, wie wenn du einen langen, langen Weg gegangen bist und jetzt bist du bei der Fête de la Musique gelandet…
MP: Ja, also vorher war ich ja dann noch über diesen Professor, der Musikethnologe ist, der war damals an der Hochschule in Hannover, und gerade dabei war, einen Studiengang zu entwickeln, eine Weiterbildung gemeinsam mit der Stiftung Niedersachsen, wo es genau darum gehen sollte, was ich von der anderen Seite, aus der Praxisseite sozusagen erfahren habe, nämlich dass es ganz tolle MusikerInnen gibt, die vielleicht auch noch an der einen oder anderen Stelle weitergebildet werden könnten, um dann nochmal auch neue Zielgruppen so zu erreichen.
Und auf der anderen Seite gibt es ja auch viele Musiker:innen, die nach Deutschland kommen, die mit ihren Abschlüssen, die sie überall auf der Welt gemacht haben, hier nicht ins System kommen. Und so entstand der Studiengang 2011, war die erste Akkreditierung, Musikwelt, kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung. Und diesen Studiengang koordiniere ich jetzt seitdem.
AV: Aber das heißt, dann hast du jetzt gerade zwei Jobs parallel?
MP: Ja. Und dieses Netzwerk an Musiker:innen, die aus unterschiedlichsten Ländern kommen und die ihre Diversität und Vielfalt als Bereicherung empfinden, das kann ich wunderbar mitnehmen ins Netzwerk der Fête de la Musique.
AV: Aber jetzt zur Fête de la Musique.
Ich meine, was passiert da? Ist das überall gleich?
MP: Vielleicht nochmal vorab, Fête de la Musique, so wie wir das heute schreiben, heißt Fest der Musik. Es kommt aber ursprünglich von dem „fait“, also „faire“, macht Musik. Es ist der ursprüngliche macht-Musik-Tag.
Und als Jack Lang sich das damals in den 80ern ausdachte, ging es darum, dass wirklich alle auf die Straße gehen sollen und gemeinsam Musik machen. Und es müssen gar nicht unbedingt ausgebildete, virtuose Musiker:innen sein, sondern gerne auch Leute, die einfach Spaß haben an der Musik und das anderen zu zeigen. Und heute haben wir im Netzwerk an die 160 Orte, die die Fête de la Musique ausrichten.
Und jeder Ort ist einzigartig und besonders, hat eigene Herausforderungen, eigene Strukturen. Wir haben gerade rund um Berlin in den ostdeutschen Bundesländern extrem viele Fêtes. Man kann richtig an der geografischen Karte sehen, wie das von Berlin aus ausgestrahlt ist und jetzt langsam immer mehr auch in den Westen zieht.
Wir haben in allen Bundesländern jetzt eine Fête de la Musique. Aber ja, die meisten sind in Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern etc. und Brandenburg.
AV: Das ist cool. Und hast du ein Beispiel? Also wenn es jetzt ein ganz kleiner Ort ist, ein Dorf nur, gibt es das, dass die bei der Fête de la Musique mitmachen?
MP: Ja.
AV: Und was passiert da?
MP: Also die Fête de la Musique kann sozusagen jeder, der möchte, mit anmelden.
Und in den kleinen Orten kann es auch manchmal dann nur das Kulturzentrum sein und der Marktplatz. Oder andere finden nur im öffentlichen Raum statt und sagen, es ist wie so ein Spaziergang durch den Ort.
AV: Ja, aber wer macht die Musik?
MP: Das sind dann die Musiker, also es sind oft die Musiker:innen und Musikvereine aus dem Ort oder den umliegenden Orten, die dann das mitgestalten.
AV: Also sprich sowohl Profis als auch Amateure, die sich dann bunt mischen?
MP: Ja, ja. Also es ist wirklich ganz bunt gemischt, auch viel Musikschule, Schulen, die Projekte haben. Das ist extrem vielfältig und auch die Gruppe der Veranstaltenden ist sehr vielfältig.
AV: Und hört ihr da Rückmeldungen? Also ich meine, warum sollte ich jetzt als Bürgermeisterin eines Ortes sagen: „oh, wir machen eine Fête de la Musique und wir melden uns an“. Einmal, wo melde ich mich an und warum sollte ich mitmachen?
MP: Also so einen Tag der Musik an dem Ort zu feiern, wo sich die Bewohner des Ortes und vielleicht auch der umliegenden Dörfer treffen, um gemeinsam Musik zu machen und zu hören und zu zelebrieren, ist einfach was ganz Wundervolles, was verbindet und Gemeinschaft schafft und auch nochmal Menschen zusammenbringt, die vielleicht auch jetzt sonst sich so nicht treffen würden und austauschen würden.
Es gibt auch Innenstadtinitiativen, die ihre Innenstadt beleben wollen und dieses Fest dafür nutzen, um Leben in die Stadt zu bringen. Also es geht in unserem General Agreement, wo wir uns international abgestimmt haben, was die Fête sein soll, geht es schon darum, dass es ein nicht kommerzielles Fest ist. Und der Kommerz steht nicht im Vordergrund, sondern wirklich das Musikmachen und das Musikhören.
Aber alleine, dass man die Orte positiv besetzt, ist, glaube ich, schon ein Riesenmehrwert.
AV: Das heißt nicht kommerziell, ich zahle als Zuhörer keinen Eintritt und völlig unabhängig, welche Musik, ob ich Profi oder Amateur bin, ob ich mit meinem Chor singe oder mit meinem Profi-Ensemble auftrete, alles ist möglich. Habe ich das richtig verstanden?
MP: Genau, und mein Verständnis davon ist auch noch, dass ich mir so wünsche, dass wirklich auch diejenigen eine Bühne bekommen, die vielleicht sonst nicht so oft eine Bühne bekommen.
Also gerade nicht die Profis, die an anderen Tagen dafür bezahlt werden, sondern vielleicht auch die Bağlama-Schule um die Ecke, die dort dann auch mal einen Slot bespielt oder Gruppen, die sonst in ihren Communities bleiben.
AV: Dass eine Gruppe mit ihren türkischen Langhalslauten, mit der Bağlama dann mal sicht- und hörbar wird, auch im städtischen Leben und nicht nur in ihren Kreisen. Das finde ich eine tolle Idee.
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AV: Mit der Fête de la Musique haben wir einen Tag der Musik, der die Botschaft bringt, jeder kann Musik machen. Und das ist auch gerade für Amateure wichtig, damit sie eine Plattform haben, auftreten zu können und ermutigt werden, auf die Bühne zu gehen oder überhaupt gemeinsam Musik zu machen. Das wollen wir auch dieses Jahr gemeinsam mit unseren Amateurmusik-Verbänden im Deutschen Musikrat als politische Botschaft zur Fête de la Musique rüberbringen.
Könnt ihr das unterstützen oder sagt ihr lieber, nee, wir wollen das ganz unpolitisch haben?
MP: Also ich sehe das genauso wie du, dass wenn wir diesen vielen Stimmen, die es an den unterschiedlichen Orten gibt, eine Bühne geben und jeder mitgestalten kann und wir uns gegenseitig zuhören und anhören und wertschätzen, dass das ein wunderbares Beispiel dafür ist, Demokratie zu leben. Es gibt bereits jetzt Orte, auch in Deutschland, für die es wirklich große Zivilcourage braucht, eine Fête de la Musique auszurichten. Es gibt Menschen, die sich schon negativ getriggert fühlen, wenn sie eine Regenbogenfahne sehen oder wenn sie das Wort Vielfalt hören.
Und das muss uns irgendwie auch bewusst sein, dass das, was für uns jetzt persönlich gerade dann selbstverständlich ist, dass das an anderen Orten anders ist. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass wir im Netzwerk so offen, also im Netzwerk der Veranstaltenden so offen über solche Themen sprechen, uns da gegenseitig auch stärken und Mut machen und dass es diese tollen, engagierten Menschen gibt, die dann bei sich, auch wenn ihnen Farbbeutel ans eigene Wohnhaus geworfen werden, laut bleiben und die Fête weiter organisieren.
AV: Was machst du dafür?
MP: Also das Musikzentrum kümmert sich schon seit 2008 um die Lizenzvergabe der Fête de la Musique.
AV: Also heißt das, ich darf nur mitmachen, wenn ihr mir die Erlaubnis gebt, dieses Label Fête de la Musique zu führen?
MP: Ja, also es ist eine kostenfreie Lizenz, die man bei uns ganz unbürokratisch beantragen kann, die aber besagt, dass man sich mit dem General Agreement der Fête de la Musique einverstanden erklärt. Also dass es ein Fest für Vielfalt ist, dass es ein Fest ist, was umsonst und draußen stattfindet, dass das Fest immer am 21. Juni stattfindet. Dass nicht ein Fest, was am 25. organisiert wird, auch Fête de la Musique heißt etc. Also das ist eigentlich mehr ein „sich einverstanden erklären“ mit den Grundregeln der Fête de la Musique.
AV: Und damit wisst ihr auch gleich, wer mitmacht und habt sie im Verteiler.
MP: Genau, dass wir auch gemeinsam zeigen, dass wir viele sind, dass wir uns austauschen können. Wir treffen uns mit den Fête de la Musique-Orten regelmäßig per Zoom und tauschen uns aus. Es gibt einmal im Jahr auch ein Live-Treffen, wo wir uns austauschen.
Und vor allem versuche ich, die Orte zu stärken, indem wir die Themen, die für sie wichtig sind, gemeinsam bearbeiten oder schauen, wo können wir unterstützen, dass sie das Wissen, was sie brauchen, dann bekommen.
AV: Hast du eine Vision, also wo würdest du gerne die Fête in fünf Jahren sehen?
MP: Also ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn immer noch mehr Städte die Fête de la Musique feiern. Und wenn wir vielleicht diesen Tag, den 21. Juni, für uns in aller Herzen und Köpfe als Tag der Musik, als Fête de la Musique gespeichert haben. Und ein großer Traum von mir wäre es, wenn das ein Feiertag wird. Also dass wir gar nicht immer sagen, ok, es ist so ein Dienstag oder so, sondern es ist einfach ein Feiertag und an dem steht die Musik ganz oben.
AV: Vielen Dank für den schönen Traum, liebe Morena.
Impressum:
DEUTSCHER MUSIKRAT e.V.
Generalsekretariat
Schumannstraße 17
10117 Berlin
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