Folge 9: 100 Tage im Amt – DMR Generalsekretärin Antje Valentin

Shownotes

Seit 1. März 2024 ist Antje Valentin Generalsekretärin des Deutschen Musikrates. Was sind ihre ersten Eindrücke nach 100 Tagen im Amt? Welche Themen bewegen sie und den Deutschen Musikrat im Moment besonders? Und was bedeutet diese Arbeit eigentlich konkret: Generalsekretärin und damit Sprachrohr für 15 Millionen musizierende Menschen in Deutschland sein? Über diese und andere Fragen sprach sie mit Regina Voss.

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PODCAST

FOLGE 9: ANTJE VALENTIN

Gemeinsam für Musik- der Podcast des Deutschen Musikrates.

Antje Valentin (AV):Wenn ich dann ins Wochenende gehe, sortiere ich mich. Aber das tu ich auch, an dem ich am Klavier sitze und meine Stücke spiele, mein Repertoire aufrechterhalte, manchmal was Neues einstudiere. Und immer wieder beim Klavierspielen fallen mir die besten Dinge ein, muss ich gestehen. Nach den vielen, vielen Gesprächen und Zoom Sitzungen und was man alles so die ganze Woche über macht, das ist dann ein klärender Moment und das genieße ich sehr.

Regina Voss (RV):Willkommen zu einer weiteren Folge von gemeinsam für Musik. Mein Name ist Regina Voß und in dieser Podcast Folge spreche ich mit Antje Valentin.

Antje Valentin ist im Juni 2024 100 Tage Generalsekretärin des Deutschen Musikrates. Welche Antwort geben Sie eigentlich, wenn jemand fragt: Was machen Sie beruflich? Was steckt hinter diesem doch etwas sperrigen Begriff?

AV:Das ist eine gute Frage, die mir wirklich oft begegnet. Meistens sage ich, ich darf für die Musik in Deutschland sprechen. Wenn es schnell gehen soll und wenn es dann ein bisschen genauer werden soll, dann spreche ich davon, dass der Deutsche Musikrat, der Dachverband der 111 Musik- Mitgliedsverbände ist. Es gibt natürlich noch mehr. Wir werden wahrscheinlich auch demnächst noch mehr Verbände aufnehmen und wir rund 15.000.000 musizierenden Menschen in Deutschland vertreten.

RV:Vielleicht können Sie mal exemplarisch so n paar Leute rauspicken, die dazugehören zu dieser Personengruppe.

AV: Es gab eine Allensbach Studie, die das Musikinformationszentrum Deutschland, kurz Miz, ein Projekt des deutschen Musikrats in Auftrag gegeben hat. Wir wollten wissen: Wie viele Menschen machen eigentlich in Deutschland Musik? Dabei ist rausgekommen, dass 14,3 Millionen Menschen in Deutschland regelmäßig Hobbymusik machen. Also im Chor singen oder einfach nur für sich Musik machen oder auch in der Blasmusik aktiv sind, in der Trommelgruppe, wie auch immer. Und wir haben rund 600.000 Profimusikerinnen und -musiker in Deutschland und das macht in Summe knapp 15.000.000 Menschen aus.

RV: Welcher Aufgaben gehören denn noch dazu?

AV:Die Moderation dieser 111 Mitgliedsverbände, die ja ganz unterschiedliche Ziele ansteuern, die aber alle mit Musik zu tun haben. Diese Verbände sind eine Kraft. Die wiederum zu bündeln, zu moderieren und zu schauen, wie kann man auf gemeinsame Ziele in der Politik hinsteuern, das ist ganz stark meine Aufgabe. Und um überhaupt zu wissen, was ist die Stellungnahme für bestimmte Themen in der Musik und in der Musikpolitik vor allem, muss ich ständig in Kontakt sein mit unseren Verbänden, und dazu haben wir Bundes Fachausschüsse. Also Ausschüsse, die sich regelmäßig treffen, so 2, 3, 4-mal im Jahr, um bestimmte Themen zu beraten zum Beispiel zu Arbeit und Soziales, zum Themenbereich Religionen und Kirchen und anderen Themen. Und daraus können wir Papiere erarbeiten, die das Präsidium dann auch freigibt und mit diesen Stellungnahmen und mit diesen Haltungen gehe ich dann wiederum auch in die Bundespolitik und unterstütze auch Landespolitik nach Kräften, für die Musik in Deutschland.

RV: Sie haben ja unglaublich viele Bereiche zu verantworten, aber sie kennen ja aus der Praxis auch viele dieser Bereiche. In diesem Zusammenhang möchte ich einfach noch mal einen Blick auf Ihre Arbeitsbiografie werfen. Wie fing denn das an mit der Musik?

AV: Ich hab instrumental Pädagogik Klavier hier an der Hochschule der Künste, so hieß sie damals noch, also der heutigen UdK Berlin, studiert und bin danach erstmal 10 Jahre Klavierlehrerin gewesen. Habe korrepetiert, sehr viel unterrichtet, sowohl Gruppen als auch Einzelunterricht und auch konzertiert. Dann hat sich ergeben, dass ich doch ein bisschen mehr Verantwortung übernehmen wollte und habe dann die stellvertretende Leitung der Musikschule Berlin Friedrichshain übernehmen dürfen. Dadurch, dass der Leiter des Amtes enthoben wurde, bin ich plötzlich kommissarische Leiterin gewesen, mit recht wenig Berufserfahrung in dem Feld. Habe sehr viel gelernt und habe eigentlich nur eine Erziehungsurlauberin vertreten, somit war dieses Gastspiel schnell vorbei. In der Zeit habe ich aber auch noch Kultur und Medienmanagement an der Hans Eisler Musikhochschule studiert und bin danach an die Landesmusikakademie Berlin als stellvertretende Leiterin gegangen.

Wiederum nach 10, 11 Jahren habe ich mich dann verändert und bin nach NRW gegangen als Direktorin der Landesmusikakademie Nordrhein-Westfalen, also ans andere Ende der Republik.

RV:Dann im Herbst. 2023 wurde klar, dass Sie in das Amt der Generalsekretärin des Deutschen Musikrates berufen werden. Was waren eigentlich Ihre ersten Gedanken, als sie von diesem, ja Angebot gehört haben?

AV: Ich muss gestehen, dass das der einzige Job war, den ich mir noch vorstellen konnte, außer meiner heißgeliebten Tätigkeit als Direktorin der Landesmusikakademie in Nordrhein-Westfalen, weil ich das Gefühl hatte, ich durfte so viele musikalische Bereiche kennenlernen und auch in zwei sehr unterschiedlichen Bundesländern, dass ich das Gefühl hatte, ich kann durchaus für die Musik sprechen. Und dann war ich aber doch recht überrascht, als ich den Zuschlag bekam.

RV:Was muss man denn genau mitbringen, um so ein Amt zu bewältigen?

AV:Vor allem Übersicht. Übersicht über Musikszenen, über politische Kontexte, aber auch über Strukturen wie Politik und Verwaltung in Deutschland funktionieren, sowohl auf Landes- als auf Bundesebene. Die Bundesebene, da gebe ich zu, da muss ich mich jetzt noch einarbeiten, da bin ich dabei. Und ich durfte eben in Berlin auch die kommunale Ebene kennenlernen, das ist sehr hilfreich.

RV:Sie profitieren einfach auch aus Ihrer Praxiserfahrung.

AV:Sehr. Und ich bin super neugierig. Ich möchte gerne sehr viel lernen und ich merke zum Beispiel im Kontakt mit unseren Mitgliedsverbänden aus der Musikwirtschaft und der Musikindustrie, dass das noch mal ein ganz neuer Bereich für mich ist, der aber eminent wichtig ist für die Musik in Deutschland.

RV:Da sind wir schon beim Stichwort. Wenn ich auf die Website des Deutschen Musikrates gehe und auf Projekte klicke, dann finde ich so Stichworte wie „Musik und Wirtschaft“, was sie gerade erwähnt haben, „Musik und Gesundheit“ oder auch „Musik und Demenz“ oder ganz aktuell „Musik und künstliche Intelligenz“. Das sind ja alles Themen, die absolut gesellschaftspolitisch relevant sind. Was kann denn der Deutsche Musikrat überhaupt in diesen Bereichen bewirken, was sind da die Aufgaben?

AV:Wir versuchen, auf Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. Das ist nicht leicht, aber manchmal gelingt es und ganz besonders bei dem Thema künstliche Intelligenz ist es dringend geboten. Ich gebe ein Beispiel: künstlich Intelligenz betrifft natürlich gerade die Urheberinnen und Urheber von Musik und auch Texten, also von Komponistinnen und Komponisten, von Songtext Schreiberinnen und Schreibern. Denn wenn sie im Grunde genommen einerseits ausgebeutet werden, indem ihre kreativen Outputs genutzt werden, um künstliche Intelligenzen zu trainieren, ohne dass hier entsprechende Lizenzzahlungen passieren, andererseits aber dann diese künstlichen Intelligenzen auch noch fähig wären, in einem gewissen Umfang eigentlich ihre Jobs zu ersetzen, also sprich kreative Outputs für Gebrauchsmusik zu machen, was schon der Fall ist, dann ist das einfach super beschädigend für das ganze Feld der Kreativen. Und das ist eine große Gefahr, wo wir uns intensiv in die derzeitige Diskussion einmischen.

RV: Ich klicke mal auf der Website noch weiter und da habe ich natürlich auch „Musik in Krisenzeiten“ angeklickt. Was ist Ihr Wunsch, was kann der Musikrat da bereitstellen?

AV:Wir stellen nicht bereit, aber wir müssen die Themen Teilhabe, Inklusion, Resilienz einfach stärker ins Auge fassen. Musik hat aus meiner persönlichen Erfahrung heraus unendlich Möglichkeiten Menschen zu stärken, als Einzelpersonen, als Gruppe. Beispielsweise ist mir ein großes Anliegen, das Thema Community Music und das ist ein ganz weites Feld. Das ist nicht eine Methodik, sondern es ist ein weites Feld der Möglichkeit, Menschen durch Musik miteinander in Kontakt zu bringen, in eine Form des Kontaktes jenseits von Sprache. Das gibt ganz andere Resonanzen zwischen den Menschen und hier mehr Menschen zu haben, die das auch können, die mit Gruppen arbeiten können, beispielsweise in einem Flüchtlingslager, in dem die Menschen sich gar nicht kennen, vielleicht aus verfeindeten Bereichen stammen. Hier kann sich Lebensqualität noch mal ganz stark verändern, weil den anderen wahrzunehmen über Musik kann dann auch bedeuten, miteinander anders zu agieren und das wiederum ist Grundlage unseres demokratischen Handelns.

RV: Sie sitzen, also das Generalsekretariat des Deutschen Musikrates sitzt in Berlin, und sie sind ein Team von 5 Leuten. Das klingt für mich nach sehr viel Arbeit auf wenigen Schultern. Wie schaffen Sie diese Aufgaben?

AV: Zum einen, weil wir natürlich eigentlich viel mehr sind. Unsere Mitgliedsverbände bilden ja eigentlich den Deutschen Musikrat, und wir 5 versuchen zu bündeln und Meinungsbildung zu ermöglichen und Netzwerkarbeit zu machen. Und wir sind natürlich noch viel mehr in Bonn, wo die Projektgesellschaft des deutschen Musikrates sitzt und wo solche Projekte wie das Bundesjugendorchester, der Bundesjugendchor, das Bundesjazzorchester- Bujazzo oder auch der Deutsche Musikwettbewerb, der Deutsche Chorwettbewerb, der deutsche Orchesterwettbewerb oder auch das wunderbare Musikinformationszentrum Deutschland organisiert werden. Dort sitzen ganz viele Mitarbeitende. Und mit denen sind wir ein Netz von Mitarbeitern. Und das funktioniert ziemlich gut.

RV:Das sind jetzt so die Strukturen, aber inhaltlich, was liegt Ihnen besonders am Herzen?

AV:Mir liegt ganz besonders am Herzen, die musikalische Bildung. Sprich die Musikschulen, die Musik in der allgemeinbildenden Schule und darüber hinaus, aber auch all die Möglichkeiten, die wir haben, musikalisch Bildung zu vermitteln.

RV:Ja, da gibt es zwei Punkte, die ich gerne mit Ihnen nochmal vertiefen möchte. Einerseits ist es wirklich die drastisch sinkende Zahl der Menschen, die sich für das Lehramt Musik bewerben wollen und im zweiten Schritt würde ich gerne auch noch mal über das Musikfach an sich mit Ihnen sprechen. Es gibt immer weniger Leute, die wirklich Musik auf Lehramt studieren wollen.

AV: Nicht nur das. Bedauerlicherweise sogar auch immer weniger Leute die Musik als Instrumental- oder Vokalpädagoginnen und -pädagogen studieren möchten. Da haben wir eine schwierige Situation, wie wir feststellen durften, weil es jetzt eine Studie gibt, die genau das untersucht. Warum haben junge Leute, die toll Musik machen, keine Lust, Lehramt zu studieren? In der Studie, die ermöglicht wurde, durch die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen und durchgeführt wurde durch die Bundesfachgruppe Musikpädagogik, ist rausgekommen, dass eben das Bild von Musiklehrkräften an der Schule nicht so besonders gut ist. Und es gibt noch viele Befunde, die uns aber jetzt Rüstzeug in die Hand geben, da tätig zu werden.

RV:Haben sie da erste Ideen?

AV:Ja, zum Beispiel eine Kampagne, die junge Leute ermutigen soll, Musikpädagogik zu studieren. Und zwar indem einfach Best Practice gezeigt wird, weil es gibt tollen Musikunterricht, es gibt inspirierende Schulen, es gibt Schulen, in denen Musik eine so große Rolle spielt, dass die gesamte Schulatmosphäre eine andere ist, dass das Gemeinschaftliche und das Soziale auch ganz anders funktioniert.

RV:Dass es so wenig Menschen gibt, die sich bewerben für dieses Fach, liegt ja wahrscheinlich auch an der Situation des Unterrichtsfachs Musik selbst. Das ist ja oft so n Stiefkind.

AV:Ja, wir haben bedauerlicherweise in Bayern, Thüringen und jetzt neuerdings auch in Mecklenburg-Vorpommern zu verzeichnen, dass Musik in einem Verbund von Stunden gesehen wird. Also verschiedene Fächer, die ein bestimmtes Kontingent an Stunden kriegen, was vermuten lässt, dass, wenn Musik nicht festgeschrieben ist im Lehrplan mit 2 Stunden durchgehend, was wir uns wünschen, dass es dann durchaus beliebig wird und auch darauf verzichtet wird, weil wir ja leider einen Mangel an Musikfachkräften haben. Hier wünsche ich mir ganz viel Fort- und Weiterbildung, weil inzwischen doch bekannt ist, dass wenn man Skills im Bereich Musik hat und mit Gruppen musizierend unterwegs sein kann, das auch wiederum in anderen Fächern wirksam sein kann. Also in der Mathestunde, wenn man merkt, die Konzentration lässt nach, eine kleine Body Percussion zu machen und danach sind die Kinder wieder topfit. Das wünsche ich mir.

RV:Sie sind also 100 Tage im Amt. Herzlichen Glückwunsch. Und Sie haben jetzt einen Wunsch frei. Ich weiß, drei wären schöner, aber halten wir es kurz und knackig. Was wünschen Sie sich in Ihrem Amt als Generalsekretärin des Deutschen Musikrates?

AV:Ich wünsche mir, dass in 5 Jahren und solange ist jetzt meine Amtszeit, die Musik in Deutschland einfach eine ganz andere Rolle spielt, erkannt wird in ihren Möglichkeiten. Sowohl was das soziale Miteinander angeht als auch was Bildung angeht, als auch was Kreativität anbelangt und natürlich auch weiterhin in kreative künstlerische Höhen der besten Leistung geht. Dass ein ARD Wettbewerb weiter funktioniert, dass die Musikschulen blühen und gedeihen, mit vielen, vielen Festangestellten. Dass einfach ganz klar ist: Ohne Musik läuft hier nichts.

Impressum:

DEUTSCHER MUSIKRAT e.V.

GeneralsekretariatSchumannstraße 17

10117 Berlin

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