Folge 25: Herzlich willkommen, neue Präsidentin!

Shownotes

In dieser Folge spricht Antje Valentin, Generalsekretärin des Deutschen Musikrats, mit der neuen Präsidentin des Deutschen Musikrats, Prof. Lydia Grün. Gemeinsam werfen sie einen persönlichen und politischen Blick auf musikalische Biografien, Bildungswege, Ehrenamt, Musikkultur und Zukunftsfragen. Lydia Grün erzählt von ihrer musikalischen Sozialisation, dem Abschied von der Blockflöte, der Faszination für Radio und Musikvermittlung – und davon, warum sie findet, dass Musik starke Stimmen braucht.

Ein Gespräch über innere Soundkulissen, demokratische Momente, die Kraft des Vernetzens, Selbstwirksamkeit in der musikalischen Bildung und darüber, wie Musikkultur Menschen verbindet – ob im Konzertsaal, im Ministerium oder beim Wandern in den Bergen.

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Der Podcast des Deutschen Musikrats mit Antje Valentin

Folge: Herzlich willkommen, neue Präsidentin!

Autorin: Antje Valentin (AV)

Gast: Prof. Lydia Grün

„Ich will einfach meinen Beitrag dazu leisten, dass das, was wir gut finden, was wir wertvoll finden, nicht nur erhalten bleibt, sondern dass es in einer guten Art und Weise erhalten bleibt. Und das heißt auch natürlich immer das Denken nach vorne.“

Antje Valentin: Herzlich willkommen. Ich bin Antje Valentin, Generalsekretärin des Deutschen Musikrats. In meiner Podcast-Reihe spreche ich mit spannenden Menschen aus Musik und Politik. Heute ist unsere neue Präsidentin des Deutschen Musikrats mein Gast, Prof. Lydia Grün. In ihrem Hauptberuf arbeitet sie als Präsidentin der Hochschule für Musik und Theater München. Liebe Lydia, bevor wir über dich und den Musikrat sprechen, habe ich drei Überraschungsfragen. Welches Instrument spielst du am liebsten?

Lydia Grün: Natürlich mein Originalinstrument, mein Hauptinstrument, das ist die Blockflöte.

AV: Welche Musik bringt dich in Schwung?

LG: Oh, ganz viel. Ehrlich gesagt, das ist eine ganz schwierige Frage, darauf jetzt ganz kurz zu antworten. Aber wenn ich mich schwunglos fühle, dann höre ich Funk and Soul beispielsweise oder was in die Richtung auch spielt, zum Beispiel Jamiroquai, Cosmic Girl.

AV: Super, Cosmic Girl, passt. Wo machst du am liebsten Urlaub?

LG: In den Bergen. Das entspannt mich wahnsinnig und vor allen Dingen, finde ich, strahlen die Berge eine unglaublich große Ruhe aus. Man lernt Demut vor der Natur. Es gibt einfach unglaublich tolle Blicke, körperliche Anstrengungen natürlich auch. Das hat ja manchmal den Berg hoch oder auch runter gehen - runter finde ich übrigens viel schwieriger als hoch - das hat ja auch was Meditatives. Man spürt sich in der Natur und auch in der Gruppe. Also je nachdem, wie man unterwegs ist und hat fantastische Blicke. Und manchmal gibt es einfach so Momente - ich mache das schon seit Ewigkeiten, also ich habe damit in meinen Jugendzeiten angefangen, so mit 12, 13 Bergwandern zu gehen - und ich finde, da gibt es einfach manchmal so Momente, wenn man so durch den Tal wandert oder an einem Bachlauf entlang. Oder der Geruch, wenn man über so bestimmte Arten von Böden geht, wenn es gerade geregnet hat. Dann hört man irgendwie auch Musik innerlich. Also mir geht das jedenfalls so. Ich habe da manchmal so eine innere Soundkulisse, die sich so abspielt. Und da kann ich alles loslassen.

AV: Insofern nur folgerichtig, dass du jetzt in München gelandet bist.

LG: Richtig, das ist der wunderbare Vorteil.

AV: Vom Teutoburger Wald in die Alpen. Denn ich würde gerne wissen, wie bist du eigentlich ursprünglich zur Musik gekommen? Was ist dein persönlicher Bezug?

LG: Ich bin so aufgewachsen. Also meine Mutter ist Sängerin. Und meine ganze Familie Mütterlicher Salz hat in irgendeiner Weise einen Musikbezug. Auch die eine Schwester meiner Mutter, also meine Tante, eine davon sozusagen…ich habe zwei ganz wunderbare…die hat auch selber professionell auf der Bühne gestanden. Auch als Sängerin und Tänzerin, eher im Varieté-Bereich. Also Wintergarten etc. Und ich habe das in meiner Jugend genossen, wenn, das war nur ganz ein paar Mal, aber wenn man dann mal so hinter die Bühne mitgenommen wird. Und natürlich bei den Auftritten meiner Mutter war ich auch mit dabei. Oder auch bei vielen Proben, als ich ganz klein war. Und mein Vater ist eher ein naturwissenschaftlicher Typ, also Ingenieur. Aber hat doch eine extrem große Leidenschaft einfach auch für die Musik gehabt. Oder hat sie nach wie vor. Und auch das Thema Musik und Bewegung war bei uns in der Familie. Also Tanzen war ganz stark verbreitet. Und so bin ich aufgewachsen. Und dann war schon die Frage, kann das ein Lebensinhalt werden? Ja oder nein? Und da gibt es ja viele Fragen, die man sich da auch sehr selbstkritisch stellen muss.

AV: Ja, du hast ja mal erzählt, dass du auch bei Jugend musiziert mitgemacht hast. Mit deiner Blockflöte. Durchaus mit Erfolg.

LG: Ja, das war schon für mich…also ich bin bis zum Landeswettbewerb gekommen, sozusagen. Und das war für mich eine große Motivation. Einfach, wie soll ich sagen, auch zu üben. Und man hat dann ja eine andere Jugend. Wenn man ein Instrument sehr intensiv betreibt, auch mit einem möglicherweise irgendwann professionellen Anspruch, hat man andere Freundeskreise, sage ich mal. Man hat eine andere Thematik, mit der man sich beschäftigt, die einen ja durchaus von den anderen Schulkameraden oder Schulkameradinnen, Freundinnen unterscheidet. Und ich war dann im Umfeld der Folkwang-Universität viel unterwegs, sage ich mal, in meiner Jugendzeit. Und das Mucken fand ich auch total klasse. Also gerade so natürlich mit dem Instrument in der Weihnachtszeit. Ich hatte einen ganz fantastischen Korrepetitor beziehungsweise Partner, mit dem man dann schöne Werke aufführen konnte für Orgel oder mit Cembalo. Und ja, das war so meine Welt.

AV: Wunderbar. Also auch jede Menge Konzerterfahrung. Und sozusagen von der Blockflöte zur Doppelpräsidentschaft. Was kam denn dann?

LG: Ja, ich habe irgendwann dann tatsächlich, muss man sich als junger Erwachsene natürlich dann wirklich die Frage stellen, ist das ein Weg, den ich professionell beschreiten kann oder auch möchte? Und wie du sagst, das Performative, also das Thema Auftreten, das mag ich bis heute, muss ich ehrlich gestehen, auch jetzt in den neuen Rollen, eben dann mit gesprochenem Wort. Und das war nämlich dann, als ich so 18, 19 war, habe ich mir bestimmte innere Meilensteine gesetzt, was ich schaffen wollte. Und da bin ich weit gekommen, aber nicht ganz wie ich mir das vorgestellt habe. Und dann habe ich eine Entscheidung getroffen - Ddas habe ich ein paar Mal in meinem Leben gemacht - die dann sehr konsequent war, nämlich zu sagen, ich lege die Flöte weg und entdecke eine andere Welt. Und das war die Welt des Radios, weil das Thema Klang und, also ich sage mal Kino im Kopf, das ist ja Musik auch oder kann es auch sein. Das hat mich einfach schon immer sehr fasziniert. Und das hatte ich parallel schon einfach für mich entdeckt über das Bürgerradio NRW. Das ist eine spezielle Einrichtung in Nordrhein-Westfalen, die ich nach wie vor für bürgerschaftliches Engagement wahnsinnig faszinierend finde. Und das war an der Volkshochschule Düsseldorf. Und da habe ich das Medium für mich entdeckt und habe das dann studiert. Ich habe dann Journalistik und Musikwissenschaft in Leipzig die Aufnahmeprüfung geschafft für Journalistik und bin dann dort hingegangen und bin wieder in der Musikstadt gelandet mit Leipzig.

AV: Fantastisch. Und dann warst du doch in Niedersachsen, wenn ich mich recht entsinne. Da sind wir uns zum ersten Mal begegnet.

LG: Genau, richtig. Es gab noch die Berliner Station dazwischen und Oldenburg war dann, genau, nach meiner Berliner Station und das ist ja auch Niedersachsen. Und da sind wir uns aber noch nicht begegnet. Wir sind uns begegnet, als ich in Hannover gearbeitet habe. Da habe ich für das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur gearbeitet. Übrigens eine meiner liebsten Stationen, muss ich wirklich sagen, sich so umfangreich und umfassend ganzheitlich in dem Sinne mit Musikkultur zu beschäftigen. Also wie ich ja gerade erzählt habe, ich kam ja aus einer bestimmten Linie und mit so einer intensiven Beschäftigung mit einer sehr speziellen Musik, nämlich der alten und der ganz neuen Musik, blendet man ja auch viel anderes aus. Beziehungsweise erlebt es einfach in seinem direkten Umfeld nicht. Und das war in Niedersachsen anders. Als Musikreferentin des Landes, eben in dem Ministerium verortet, ist man für die Förderung der gesamten Musikkultur zuständig. Und das fand ich total spannend, weil da habe ich zum ersten Mal verstehen dürfen oder können, was Musik mit Menschen jeglicher Couleur machen kann. Und was auch eine hoffentlich kluge Förderpolitik Positives bewirken kann und wo es natürlich auch Grenzen gibt. Das war, das muss ich kurz zurückrechnen, das ist schon lange her. Das ist, glaube ich, 17 Jahre her oder etwa 20. Und das waren ja auch nicht wirtschaftlich lukrative Zeiten. Das war kurz nach der Finanzkrise und da gab es schon die ersten großen Einschläge in der Kulturfinanzierung. Also es war jetzt nicht nur vergnügenssteuerpflichtig.

AV: Ja, da haben uns einige Sorgen gemacht. Ich glaube, wir haben uns in der Bundesakademie Wolfenbüttel dann mal gesehen. Da gab es diese erste Tagung zur Musikpolitik mit Christian Höppner und etlichen anderen. Die habe ich atemlos komplett verfolgt und alles mitgeschrieben. Das fand ich total spannend.

LG: Ein toller Ort, Wolfenbüttel.

AV: Ja, sowieso. Genau, wo jetzt Vanessa Reinwand-Weiss tagt und arbeitet, ganz wunderbar. Und was hat dich dann eigentlich motiviert, Präsidentin zu werden bei uns im Deutschen Musikrat?

LG: Also erstmal natürlich auch die Aussicht beispielsweise mit dir oder mit Menschen wie mit dir zusammenzuarbeiten. Tatsächlich. Ja, also ich denke einfach, dass wir, also ich habe da lange drüber nachgedacht, ob ich kandidiere oder nicht. Weil, wie du vorhin erwähnt hast, ich habe ein nicht kleines Hauptamt mit der Präsidentschaft in München in der Hochschule. Wir haben viel vor, wir haben viel auf der Agenda stehen und viel zu tun in einem komplexen Haus, in einem großen Haus. Und es gibt einfach einen entscheidenden Punkt und das ist die Frage, kann man, oder ich konnte diese Frage dann irgendwann nicht mehr mit Nein beantworten. Kann man Situationen, in denen man in seiner Verantwortung gefordert ist und eine Situation durchaus auch als herausfordernd oder vielleicht sogar als Krise empfindet, kann man dann noch sagen, nein, das geht jetzt leider nicht, weil zu viel Workload. Ich will einfach meinen Beitrag dazu leisten, dass das, was wir gut finden, was wir wertvoll finden, nicht nur erhalten bleibt, sondern dass es in einer guten Art und Weise erhalten bleibt. Und das heißt auch natürlich immer das Denken nach vorne. Und das fasziniert mich am Deutschen Musikrat und seinem großen Facettenreichtum. Eigentlich ein bisschen so ähnlich wie in Niedersachsen. Also die Frage von, was macht Musikkultur aus für Menschen und wie müssen die Strukturen dafür gut sein. Was hat dich denn motiviert, sozusagen, Generalsekretärin zu sein?

AV: Ja, genau das. Das Gefühl, das macht mir irre Spaß, Menschen zusammenzubringen. Und ich glaube, unsere Stärke liegt darin, dass wir viele sind und dass wir auch facettenreichst Musik lieben und auch sehr wertschätzen können, wenn jemand anderes andere Musik liebt, die man selbst vielleicht gar nicht so toll findet, aber dann entdecken kann, weil die andere Person daran so hängt. Das fand ich immer großartig. Und ich habe in NRW gemerkt, dass Bildung ist mein Thema, absolut, nach wie vor. Es ist nicht das Einzige, aber in NRW konnte ich mich eben um Fort- und Weiterbildung ganz vehement kümmern und da ein paar Türchen öffnen. Aber ich war an einem Punkt, wo ich dachte, so von selber unterrichten bis Kurse konzipieren, bis anderen zeigen, wie man Kurse konzipiert, jetzt am liebsten arbeite ich eigentlich vernetzend und politisch. Und das darf ich jetzt nur noch machen. Das finde ich super.

LG: Genau dieses Vernetzen, da habe ich total Lust drauf. Also ich bin total davon überzeugt, dass Menschen, wenn sie was wollen oder nicht in eine Richtung gehen alle gemeinsam, sondern dass man so ein Common Sense hat, ein Grundwerte-Common Sense, dass man dann mit dem Thema Vernetzen einfach wirklich vorankommt. Und ich glaube einfach, dass wir da auch noch eine nächste Zündstufe zünden müssen. Also in der Lage, in der ich jetzt beispielsweise auch hier in der Hochschule sehe, unter welchen Herausforderungen bestimmte Branchen einfach stecken. Und ich glaube die Kraft haben wir aber in uns.

AV: Und unser Geheimnis ist ja, dass wir durch selbst Musik machen, so ist meine These, auch uns resilient halten können in großen Krisen. Also es war, als ich schier verzweifelte in der Corona-Zeit mit meiner Landesmusikakademie, war das mein Rettungsanker wieder, viel mehr Klavier zu spielen. Du bist ja nicht so drin jetzt in den Gremien, das ist ja auch noch ein teilweise Außenblick, den du hast, was ich sehr kostbar finde übrigens. Also wie hast du jetzt dich immer mehr annähernd den Deutschen Musikrat wahrgenommen und was hast du vor?

LG: Also ich habe jetzt ganz gleich ganz viele Gedanken im Kopf, ich versuche sie mal möglichst auf den Punkt zu bringen. Also ich kenne den Musikrat ja selber als Mitglied. Also das ist eine sehr fokussierte Sicht, sage ich mal. Also genau wie du sagst, die ganzen einzelnen Gremien, die kenne ich in diesem Detail nicht und bin einfach furchtbar neugierig, wie die funktionieren, beziehungsweise welche Atmosphären da auch herrschen und welcher Geist uns da trägt. Und ich erlebe den Musikrat jetzt, also jetzt auch gerade immer noch von der Mitgliederversammlung als ein Verband oder Netzwerk im Aufbruch. Ich habe gerade die Kandidat:innenvorstellung des gesamten Präsidiums als ein extremes Highlight wahrgenommen. Also weil einfach dieses Nach-vorne-Wollen beziehungsweise einfach Handlungs-…, also sich einzubringen, das sind ja alles Ehrenämter. Also das, um zu sagen, auch gerade jüngere Menschen, die vielleicht gerade Familie gegründet haben, die sagen, nee, es ist jetzt die Zeit. Jetzt müssen wir zusammen überlegen, wie es weitergeht. Das ist ein, das finde ich einfach ein unglaubliches Geschenk. Und das ist erstmal mein erstes Ziel, ist diese Dynamik zu erhalten und zu nutzen. Ja, und dann tatsächlich, man muss nicht auf jedes einzelne Moment kritisch drauf gucken, aber einfach Fragen zu stellen. Ja, wie funktioniert das? Wie funktioniert, was habt ihr damit vor? Was haben wir gemeinsam damit vor? Was ist unser Ziel? Und passt das Format dann zum Inhalt? Das sind eigentlich immer die Fragen, die ich im Hinterkopf habe. Und sind wir dann an der Stelle so organisiert, dass wir das auch schauen? Zum Beispiel, was mich schon durchaus einfach umtreibt, ist tatsächlich einfach die Frage des Ehrenamtes. Wie sieht das im 21. Jahrhundert aus? Und wie binden wir verschiedenste Generationen beispielsweise ein? Ja, das ist eine Frage in einer alternden Gesellschaft. Wie gehen wir mit den Jungen um, die das stützen? Ja, und das heißt ja nicht, dass man den einen oder anderen ausschließt, sondern umgekehrt, dass die Frage ist, wie locken wir jede Stärke heraus oder jedes Potenzial? Oder die Frage von Vielfalt in unserer Gesellschaft. Gerade im Bereich der musikalischen Bildung. Was lassen wir liegen? Oder wen hören wir vielleicht noch nicht ausreichend genug? Wer hat noch keine Stimme? Wer gehört einfach zum Musikleben in diesem Land?

AV: Genau, ohne sichtbar zu sein bisher. Aber vielleicht noch zum Ehrenamt für die Hörenden: Wir hatten 28 Nominierungen von unseren Verbänden für absolut engagierte Menschen, die auf die 18 Präsidiumsplätze gewählt werden wollten. Und das ist schon, finde ich, sehr beachtlich. Insofern, die zehn, die jetzt nicht gewählt worden sind, da hast du ja auch sehr schön in deiner ersten Ansprache gesagt, die willst du im Blick behalten und die wollen wir einbinden.

LG: Natürlich. Ich fand einfach, was mich so beeindruckt hat, war auch, wie ihr als Generalsekretariat diesen Moment organisiert habt und welche Atmosphäre im Saal herrschte. Also ich habe das schon als einen großen demokratischen Moment wahrgenommen. Was nicht einfach ist, weil man bringt sich persönlich ein, man hat Anliegen und wenn man das als Ehrenamt macht, dann gibt es da auch einfach eine unglaublich intrinsische und ideelle Motivation dahinter. Und natürlich ist das dann mit Enttäuschung verbunden, jetzt nicht Teil des Präsidiums beispielsweise zu sein, aber dennoch, finde ich, diese Gedanken, die in dieser Runde, die ihr wahnsinnig detailreich und auch einfach sehr würdevoll, ihr habt es sehr würdevoll für alle Kandidatinnen und Kandidaten organisiert, dass man vortragen konnte, sehr prägnant, in einer großen Ruhe und dennoch Knappheit, was man möchte und was man für wichtig findet. Und das ist für mich Demokratie, die unterschiedlichen Stimmen zu hören, sich selber eine Meinung, eine Position zu bilden und dann in aller Freiheit, ohne Druck und ohne Zwang, weil es eine anonyme Wahl ist, seine Stimme abgeben zu können. Und das ist einfach eine - ich meine, wir sehen in anderen Ländern, wie das schief geht. Und das ist eigentlich ein unglaublicher Wert von Verbandsarbeit auch. Und diese Atmosphäre würde ich mir so wünschen, dass es uns gelingt, das zu übertragen. Jetzt einfach in die nächsten Schritte, die wir vorhaben. Zum Beispiel mit den einzelnen Untergremien oder in den inhaltlichen Gremien das zu übertragen.

AV: Ja, und die dann zusammenzuführen, auch dass wir wirklich vorankommen und Zeichen setzen. Du hast ja gesagt, als Wahlslogan „Musik braucht starke Stimmen“. Hast du da was Konkretes im Blick gehabt? Also du sprichst auch gerne von Kampagnen und ich denke immer, was meint sie jetzt genau? Gehen wir auf die Straße mit Plakaten?

LG: Reicht - wenn es notwendig ist, machen wir auch das. Ja, so, aber mit starker Stimme oder Stimmen. Ich habe ja sehr bewusst sozusagen da auch den Plural gewählt. Vielleicht ist das ein ganz persönliches Gefühl. Ich glaube, dass wir und ich erlebe das in vielen Verhandlungen einfach auch in meiner Berufsbiografie, in den unterschiedlichsten Stationen. Ich erlebe Kulturakteurinnen und -akteure immer als sehr höflich und das finde ich auch erstmal gut. Aber ich finde, wir müssen unsere Anliegen einfach auch deutlich machen. Ja, und wir gehen von ganz vielen Punkten aus, die wir als Selbstverständlichkeit sehen. Ja, in unserer kulturellen Infrastruktur. Ich glaube, dass sie nicht mehr selbstverständlich sind. Ja, und dass wir uns erklären müssen an vielen Stellen. Das kann man jetzt bedauern, dass das so ist, ja. Und mein Blick ist dann ein realistischer. Zu sehen, okay, wenn wir uns erklären müssen. Ich erlebe das ja hier in meiner Münchner Berufsbiografie ja auch, jetzt gerade hier an dieser aktuellen Station, muss ich halt erklären, was Musikhochschule ist. Und was heißt üben? Was heißt lehren? Was heißt forschen? Was ist ein Konzert? Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass alle das im Hinterkopf haben, also dasselbe Bild im Hinterkopf haben, sondern es gibt ganz viele verschiedene. Und wenn wir aber jetzt beispielsweise uns für eine Branche, zum Beispiel die Kirchenmusik einsetzen wollen, dann müssen wir viel deutlicher als früher erklären und erzählen und benennen, was nicht nur was es ist, sondern wofür es gut ist.

AV: Und unser Gremium kümmert sich ja um das Thema Musik in KirchEN und ReligionEN. Und das finde ich so großartig. Das habe ich so vorgefunden und das ist ein fantastisches Gremium, weil wir haben so viele Religionen und Kirchen in Deutschland und da spielt dauernd Musik eine Rolle. Das begeistert mich gerade sehr. Jetzt haben wir gerade Kirchenmusik als Thema gehabt - Musikalische Bildung. Hast du da bestimmte Entwicklungen im Blick? Was schwebt dir vor?

LG: Also erstmal muss man dazu sagen, ich habe ja da selber kein Fachstudium oder ähnliches. Ich bin Musikwissenschaftlerin und Journalistin. Und ich sehe es so, dass auch durch die Erfahrung, die ich in der Musikvermittlung gemacht habe, also die Frage, wie baue ich Beziehungen zwischen Musik und unterschiedlichen Publika beispielsweise auf. Ich hatte das unglaubliche Geschenk, in bestimmte Projekte Einblick zu gewinnen und eben in Bildungsprozesse wirklich reingucken zu können, zum Beispiel in der Kompositionspädagogik. Und ich glaube, dass wir diese frühe Berührung mit musikalischer Praxis im wirklich frühesten Kindesalter, das fände ich ganz, ganz wichtig, weil es mir da nicht nur darum geht, das ist dann das Publikum von morgen und so. Erstens ist es, glaube ich, das von heute. Und das Zweite ist, das ist eine sehr zweckorientierte Herangehensweise, also die ist legitim aus bestimmten Perspektiven, zum Beispiel eines Orchesters oder einer Bühne. Aber ich finde, man kann in solchen Bildungsprozessen einfach auch ganz viele Schlüsselmomente für die persönliche Entwicklung sehen. Und ich könnte jetzt tausende von Beispielen aus diesem Klangradar-Projekt, was Burkhard Friedrich damals oder auch künstlerisch leitet, beim Netzwerk Junge Ohren erzählen, weil es mir wirklich die Augen geöffnet hat, was das wie das Gruppe verändert, wie es das persönliche, das Selbstwirksamkeitsgefühl verändert von in dem Fall ganz kleinen Menschen. Und das wird sie, ich bin fest davon überzeugt, das wird sie beeinflussen, das wird sie tragen. Diese Erfahrung einer Selbstwirksamkeit, eines ästhetischen Erfahrungsraums, so Welt zu entdecken und sich so ausdrücken zu können, das ist, glaube ich, was menschlich sehr, sehr wertvoll ist. Und so denke ich über musikalische Bildung. Also nicht im Sinne von Wissensvermittlung, sondern die Frage von, welche Kompetenzen können wir wecken und welche Schlüsselerlebnisse an musikalische Bildung über den reinen Wert von Musik hinaus ermöglichen.

AV: Also auch quasi Sinnstiftung fürs eigene Leben. Letztendlich könnte da entstehen. Entsteht auch hoffentlich. Musikwirtschaft, was fällt dir dazu ein?

LG: Ja, es trägt große Teile unserer Musikkultur. Also gerade natürlich, wenn ich in den popkulturellen Kontext schaue und was ich da total faszinierend finde, ist, ich finde total interessant, ich bin da sehr spät erst zu popkulturellen Phänomenen vorgestoßen persönlich in meiner Biografie. Das ist jetzt, Kreativwirtschaft und Musikwirtschaft berührt jetzt natürlich nicht nur den popkulturellen Kontext. Ist mir total klar, wenn man zum Beispiel an das Verlagswesen, an die großen, an die Tonträgerindustrie denkt und so weiter und so fort. Oder auch in dem ganzen Bereich KI. Dennoch ist es so, finde ich, dass was ich faszinierend an diesen Bereichen finde, gerade im popkulturellen Kontext, ist, dass sich da Szenen ausdrücken, dass sich da Lebensgefühl ausdrückt. Und auch den, muss ich ganz ehrlich sagen, den unternehmerischen Spirit. Der ist mir total sympathisch. Also zu sagen, hey, wir entwickeln was, wir erfinden was. Wir wollen ein Produkt in dem Sinne auf den Markt bringen. Wir möchten Menschen etwas entwickeln, was Menschen nützlich ist, was sie kaufen, wofür sie Geld ausgeben. Sie entscheiden sich dafür. Sie wollen ein Konzert besuchen, in einen Club gehen oder was auch immer tun. Und das finde ich ein ganz spannendes…das finde ich faszinierend. Gerade auch so unternehmerisch zu denken und im Machen zu denken, was zu ermöglichen, auch mit einer gewissen Dynamik und einem Speed.

AV: Danke. Amateurmusik? Hast du Niedersachsen intensiv kennengelernt, glaube ich, oder?

LG: Ja, auch, genau. Ich erinnere mich sehr gerne an diese, an die, ich sage mal, musikalischen Ausflüge. Und was ich natürlich auch da ganz faszinierend kennengelernt habe, aber nicht nur da, muss ich sagen. Also meine musikalischen Entdeckungsreisen beziehen sich jetzt nicht nur auf den Norden, sondern auch zum Beispiel später in anderen Jury-Tätigkeiten, in anderen Bundesländern, auch beispielsweise viel in Ostdeutschland. Mich interessiert da, auch gerade jetzt zum Beispiel aus der Musikvermittlungsbrille, was führt Menschen zusammen? Was wollen sie gemeinsam für Musik machen? Also wofür, welches Repertoire entscheiden sie sich? Das hat ja auch ganz oft mit regionalen Traditionen beispielsweise zu tun. Und ich habe zum Beispiel die Zupforchester dort tatsächlich im Norden entdeckt. Und die Frage, wie da bestimmte Generationen zusammenfinden und was man für Musik da einfach zusammen macht, das war mir in dem Augenblick noch fremd. Aber dieses gemeinschaftliche Moment, das finde ich einfach ein ganz wichtiges. Und vielleicht noch eine kurze Anekdote aus der Corona-Zeit: Ich habe damals ja als Professorin für Musikvermittlung an der Hochschule für Musik in Detmold unterrichtet und hatte Weiterbildungsstudierende, das heißt Studierende, die schon im Berufsleben waren. Und einige davon kamen auch aus dem kirchenmusikalischen Kontext und haben über ihre Chorarbeit gesprochen, was in Corona natürlich extrem schwierig war. Aber dennoch haben sie Wege gefunden, Sachen möglich zu machen, zum Beispiel auch im Freien. Und das waren dann trotzdem immer noch Punkte, wo sich Menschen begegnet sind. Ohne Worte. Und ohne sich positionieren zu müssen zu irgendwas. Zur Corona-Regel X oder zur Impfung Y oder was auch immer. Aber sie haben sich da…sie sind sich da begegnet und zwar friedlich, harmonisch. Und das ist, finde ich, ein ganz großes Geschenk von Amateurmusik.

AV: Danke. Also ich musste jetzt mal kurz so drei Themen, damit soll es auch gut sein, in den Raum schmeißen. Dich werden ja in Zukunft noch ganz viele andere erreichen. Gibt es da was, worauf du dich besonders freust? Die nächsten Termine kennst du ja schon. Wir haben schon ins nächste Jahr hineingeplant.

LG: Also es ist für mich natürlich total schwierig, da irgendetwas rauszugreifen. Aber wenn ich einfach in Gedanken so den Kalender jetzt bis Ende des Jahres einfach durchspule, finde ich, also zwei Highlights fallen mir da auf jeden Fall ein. Und das ist nämlich die Veröffentlichung der Studie „Mikado Musik“ an der Universität der Künste gemeinsam mit der RKM und dem VdM. Und das ist einfach für uns, finde ich, immer wieder wichtig, dass wir auf einer sehr soliden und gut bereiteten Basis einfach beispielsweise darüber nachdenken können, wie geht es auch mit dem Fachkräftemangel im Bereich der musikalischen Bildung weiter und was können wir tun. Es ist ja nicht nur damit getan, zu sagen, wie ist die Situation und das zu beschreiben, sondern daraus müssen natürlich auch Handlungen erwachsen. Und dann kurz vor Weihnachten darf ich nach Bonn fahren zur Wiedereröffnung der Beethoven-Halle. Und das finde ich ist immer in dem Augenblick, in dem junge, begabte Menschen auf der Bühne stehen und Musik machen, das ist für mich total beglückend und eine Art Krafttankstelle. Energie-Tankstelle.

AV: Wunderbar. Ja, da singen Bundesjugendchor und am nächsten Abend dann noch Bundesjugendorchester spielt.

LG: Ja.

AV: Das wird bestimmt großartig.

LG: Richtig.

AV: Liebe Lydia, ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit. Vielen Dank für das Interview.

LG: Ich danke dir und ich freue mich auch sehr, liebe Antje, auf die Zusammenarbeit mit dir.

Impressum:

DEUTSCHER MUSIKRAT e.V.

Generalsekretariat

Schumannstraße 17

10117 Berlin

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