Folge 22: Folk Music - Ein missverstandenes Genre?
Shownotes
Anlässlich des jährlichen European Folk Day am 23. September spricht Antje Valentin in ihrer Podcast-Reihe mit Peggy Luck – Künstlerin, Vorsitzende von „ProFolk“ und leidenschaftliche Folk-Musikerin. Gemeinsam tauchen sie ein in die Welt des Folk: von der Frage, warum man in Deutschland lieber „Folk“ als „Volksmusik“ sagt, über die Arbeit des Verbandes und die „Deutschfolk-Initiative“, bis hin zur Wiederentdeckung traditioneller Tanzschriften und der Thüringer Waldzither, die es sogar auf die UNESCO-Liste geschafft hat. Peggy Luck erzählt, wie Folk Menschen verbindet, kritisch und zugleich lebensnah sein kann – und warum sie sich wünscht, dass Kinder schon im Kindergarten erleben, wie vielfältig und frei Musizieren jenseits von Notenblättern sein kann.
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Der Podcast des Deutschen Musikrats mit Antje Valentin
Folge: Folk Music – Ein missverstandenes Genre?
Autorin: Antje Valentin (AV)
Gast: Peggy Luck (PL)
„Dass deutsche Kultur nicht nur bedeutet Nazi-Kram oder Schiller und Goethe, sondern dass es davor eine ganz, ganz lange Geschichte gab von tollen Menschen, tollen Melodien, auch Widerständigem…“
Antje Valentin: Herzlich willkommen. Ich bin Antje Valentin, Generalsekretärin des Deutschen Musikrats. In meiner neuen Podcast-Reihe spreche ich mit spannenden Menschen aus Musik und Politik. Mein Gast heute ist…
Peggy Luck: Peggy Luck, Vorsitzende von ProFolk und Künstlerin.
AV: Herzlich willkommen, Peggy. Welches Instrument spielst du am liebsten?
PL: Stimme und dazu ein Seiteninstrument.
AV: Ah, sehr gut. Was ist denn dein Lieblingssong oder einer deiner Lieblingssongs?
PL: Ich habe da mal was vorbereitet und spiele eine Strophe von Zupfgeigen-Hansels „Andere, die das Land so sehr nicht liebten.“ Das ist eine folkige Gedichtvertonung von Theodor Kramer, einem Juden und Sozialisten. [Andere, die das Land so sehr nicht liebten, waren von Anfang an gewillt zu gehen. Ihnen, manche sind schon fort, ist besser. Mich doch müsste mit dem eigenen Messer meine Wurzeln aus der Erde drehen.]
AV: Wow, das hatte ich noch nicht in meinem Podcast, dass jemand direkt zum Instrument gegriffen hat. Was willst du als Vorsitzende von ProFolk erreichen?
PL: Also mir und uns wäre es die größte Freude, wenn gut verwurzelte traditionelle Kultur aus dem heimischen, regionalen bis europäischen Raum, aber auch aus der ganzen Welt die Wertschätzung und die Verbreitung erfährt, die sie verdient hat.
AV: Danke. Kurz zu ProFolk. ProFolk wurde 1984 gegründet und ist der bundesweite Verband für Lied-, Folk- und Weltmusik. Sie verstehen sich als offenes Netzwerk für alle Menschen, die professionell oder auch nebenbei Folkmusik machen, Veranstaltungen damit organisieren oder an der auch kritischen Auseinandersetzung mit dem musikalischen Erbe in Deutschland interessiert sind. Vor allem möchten sie Menschen ansprechen, die Folkmusik leben und finden, dass das Genre medial und gesellschaftlich unterrepräsentiert ist. Und darüber möchte ich jetzt mehr wissen. Liebe Peggy, warum sagt ihr Folk und nicht Volksmusik?
PL: Das ist eine sehr gute Frage, die etwas damit zu tun hat, dass in Deutschland Volksmusik auf ganz verschiedene Weisen ein sehr missverstandenes Genre ist. Es gibt einen Teil der Menschen, die schon bereits bei dem Wort „Volk“ zusammenzucken, aus geschichtlichen Gründen, aus gut nachvollziehbaren Gründen. Und die anderen denken eher an volkstümliche Musik, also alles das, was man so im teilweise auch öffentlich-rechtlichen Fernsehen an Playback vor Wänden mit Bergmassiven geboten bekommt. Und was manchmal vielleicht noch ein kleines bisschen eine Wurzel darin hat, was wir als Folkmusik bezeichnen, aber an sich einfach eine stark kommerzialisierte und auch schlagernahe Variante dessen ist, was Volksmusik, ich sag's jetzt einfach trotzdem, früher mal war, nämlich so der kulturelle Kleber und das, an dem alle eigentlich teilhaben durften.
AV: Also was ziemlich selbstverständlich ist und nicht so hochglanzpoliert ist wie volkstümliche Schlager, so würde ich die Sendungen eigentlich nennen. Ja, vielen Dank. Ihr habt ja auch Ziele als ProFolk. Was versucht ihr, was macht ihr?
PL: Also zum einen leisten wir eigentlich überall, wo wir hinkommen, Aufklärungsarbeit darüber, dass es Folkmusik oder Volksmusik nicht nur in Irland gibt, weil die häufigste Assoziation, die Menschen, wenn wir mit ihnen darüber reden haben, ist halt: „Oh ja, Irish Folk, da war ich auch mal bei einem Konzert, das ist ganz toll, das macht ganz viel Spaß!“ Und dann sagen wir, ja, und jetzt stell dir noch mal vor, das hätte es auch da gegeben oder gäbe es immer noch, wo du herkommst. Und dann holen wir die Menschen meistens schon bei einem sehr niedrigen Kenntnisstand ab, sag ich mal vorsichtig. Und genau, wir machen ganz viel Vernetzungsarbeit. Wir haben vor allem mit der Deutschfolk-Initiative unter dem Dach von ProFolk viel gestartet, unter anderem ein Deutschfolk-Zentrum am Johanneshof, das ist in der Nähe, also zwischen Chemnitz und Hainichen. Und ja, versuchen den Menschen Zugang zu diesen Inhalten zu gewähren und natürlich auch einfach die Szene sichtbarer zu machen, aber auch, dass sie sich innen erst mal wahrnimmt. Weil als ich Folkmusik kennengelernt habe, hatte ich das Gefühl, ich bin die einzige Person, die diesen Spleen hat. Und ja, jetzt arbeite ich daran, dass es anderen nicht so gehen muss.
AV: Und du hast viele andere gefunden, die Mitstreiter sind bei ProFolk.
PL: Ja, Gott sei Dank, ist mir irgendwann aufgegangen.
AV: Deutschfolk-Initiative, was kann ich mir darunter vorstellen?
PL: Die Deutschfolk-Initiative ist unter dem Dach von ProFolk, der sich, wie schon angedeutet, sozusagen für Lied und Folk und wurzelige Musik von überall einsetzt. Es ist nochmal die Abteilung, die besonders daran interessiert ist, was hier eigentlich war, also in diesem umgrenzten, manchmal auch ein bisschen random umgrenzten Raum, den wir Deutschland nennen. Weil die Melodien, die Lieder sind auch durch Europa gewandert, sind mit den Musikern und Musikerinnen gewandert. Und wir schauen aber besonders genau hin, was war hier eigentlich. Wir haben zum Beispiel so ein Session-Starter-Kit entwickelt, für wenn Menschen hierzulande im Kreis sitzen und die Gitarre geht rum und alle sagen zueinander: „ja, was wollen wir denn spielen?“ Und sagen, keine Ahnung, und dann spielt irgendjemand Oasis. Und das ist gar nicht schlimm, aber es wäre vielleicht auch schön, wenn einem nochmal zwischendurch was anderes einfiel und vielleicht sogar was Traditionelles.
AV: Ja, da ist ja aus bekannten Gründen eine Tradition total abgebrochen, aber ihr guckt nach Wurzeln und ich finde, wurzelige Musik ist ja ein super Ausdruck dafür. Zumal es wahrscheinlich in den unterschiedlichen deutschsprachigen Regionen auch sehr unterschiedliche wurzelige Musik gibt, oder?
PL: Ja, auf jeden Fall. Also die wurzelige Musik am Meer ist einfach eine ganz andere als in Bayern oder Franken. Und in der Mitte ist es auch nochmal ganz unterschiedlich. Aber es gibt ja trotzdem einige Sachen, die Volksmusiken verbinden, also auch über Grenzen hinweg. Und eben das Verbinden ist es auch in der Lage, zwischen den Menschen zu leisten.
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[Musik]
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AV: Super. Also nicht nur Musik vernetzen, sondern Musik zum Vernetzen benutzen ist auch euer Ziel. Wenn man an so ein Session-Starter-Kit, was für eine tolle Idee, wenn man daran denkt. Und wenn ich zum Johanneshof fahren würde, was finde ich da?
PL: Da findest du eine Bibliothek, die gerade noch am Wachsen ist, mit sozusagen allem möglichen, was Deutschfolk sein kann. Also von Liederbüchern über Zugang zu diesen neu aufgefundenen Tanzhandschriften - Sammlungen, die ganz viel Furore gemacht haben in unserer Szene.
AV: Also tanzt ihr auch?
PL: Wir tanzen total viel. Also ich musste das erst nach und nach in mein Leben holen. Aber ja, genau als Tim Liebert, der ja auch schon ein, zwei Mal mit hier war und ein großer Waldzither-Verfechter ist und ich, als wir begonnen haben mit dieser Deutschfolk-Initiativ-Idee, kamen wir beide sehr vom Inhaltlichen und vom Lied und vom Selberschreiben auch. Und haben dann nach und nach festgestellt, ups, eigentlich ist in der Tanzszene der traditionellen Musik gerade viel mehr los, weil die diese neu aufgefundenen Handschriften haben, weil sie kleine Festivals, Szene-Treffen haben.
AV: Volkstanz-Szene, kann man sagen oder Folk-Tanz-Szene…
PL: Ja, es ist auch wieder kompliziert mit den Wörtern, weil in den 70ern und 80ern hieß es meistens Volkstanz-Szene in meiner Wahrnehmung - ganz schön viel der S drin - und inzwischen nennt es die jüngere Generation meistens Ball-Folk, weil es den Weg über die französische Tradition genommen hat, wo es Ball folkloristique heißt. Und die Inhalte sind eigentlich…grenzen sehr aneinander, aber die Frage ist immer so ein bisschen, über welche Schiene europäischen Auslands ist es wiedergekommen und das macht so ein bisschen die Unterschiede aus.
AV: Und du sprichst jetzt von historischen Tanzschriften. Wo habt ihr die gefunden?
PL: Also ich habe die nicht mitgefunden. Das ist eine Sache, die schon so vor, ich glaube, 20 Jahren angefangen hat. Und da sind tatsächlich Enthusiastinnen und Enthusiasten auf der Suche gewesen nach sowas und haben in Bibliotheken geschaut. Und da ist zum Beispiel die inzwischen in unserer Szene sehr berüchtigte Dahlhoff-Sammlung aufgetaucht, die ganz viele Bände versammelt, die im 18. Jahrhundert von einer Küsterfamilie in Dinker in Westfalen aufgeschrieben wurde. Also ganz viel authentisches Material, das er gesammelt hat und mal so festhalten wollte.
AV: Du hast mir mal erzählt, dass du auch selber jetzt inzwischen wahnsinnig gerne mittanzt.
PL: Ja, und auch gelegentlich Kreise zum Tanzen bringst. Also dadurch, dass es so einfach und so integrativ ist, finde ich, ist der Einstieg sehr leicht, Menschen dann auch mitbegeistern zu wollen. Also ich tanze eine Kette mit und sage allen Umstehenden: „Kommt mit rein“ - also einem Umstehenden – „kommt mit rein! Das macht total Spaß!“. Hin zu: „Oh, ich bin hier irgendwie mit 30 Leuten und die Party ist ein bisschen lame“, aber ich könnte halt auch einfach sagen: „Wollen wir nicht einen Kreistanz machen?“ Ist der Weg relativ kurz gewesen.
AV: Also man kann auch Mitglied bei euch werden. Jeder Mensch, der sich begeistert für Folk-Musik, ob Musiker oder Amateurmusiker oder Zuhörer oder Tänzer.
PL: Ja, auf jeden Fall. ProFolk hat angefangen als Zusammenschluss von Folk-Clubs, was es damals im Westen wohl sehr viel gab, aber das habe ich verschlafen diese Zeit. Im Osten hieß es so nie, aber war im Prinzip so ein Veranstalterverbund. Und wir arbeiten daran, das gerade sehr viel offener zu begreifen und zu sagen, hey Leute, wenn ihr diese Szene genauso liebt wie wir, dann tretet ein, weil wir arbeiten eben daran, die sichtbar zu machen und in die Vernetzung zu gehen. Und deswegen kommt alle.
AV: Toll, genau. Und jetzt ist es ein Verband, der bundesweit agiert, also im Westen und Osten. Und du selbst bist ja aus Leipzig, wenn ich es richtig verstanden habe, und wohnst jetzt in Frankfurt-Oder, wenn du nicht durch die Weltgeschichte reist.
PL: Ich sage immer, ich wohne im RE10. Das ist ja der Regio zwischen Leipzig und Frankfurt-Oder. Ich komme aber eigentlich aus Floh-Seligenthal in Thüringen. Das ist ein Dorf mit 500 Einwohnern. Und viel Wald drumherum.
AV: Der Thüringer Wald. Und damit sind wir bei der Thüringer Waldzither. Das ist ja ein ganz, ganz besonderes Instrument, das ich erst überhaupt durch dich und durch deinen Stellvertreter Tim Liebert kennengelernt habe. Und es ist gelungen, dass Tim mit Prof. Dr. Tiago de Oliveira-Pinto aus der Hochschule für Musik Weimar das Spiel und den Bau der Thüringischen Waldzither in die deutsche UNESCO-Weltkulturerbeliste aufnehmen konnte. Das ist bemerkenswert. Und niemand von uns Hörern und Hörerinnen weiß wahrscheinlich, was ist eine Waldzither. Denken alle wahrscheinlich an eine bayerische Zither. Aber jetzt greift Peggy nach dem Instrument und sie sieht aus wie ein kleines Banjo.
PL: Genau. Der Satz, den Tim und ich sehr oft sagen, ist: „Das ist aber nicht die alpenländische Tischzither, sondern man hält es mehr so wie eine Gitarre oder wie eine Mandoline. Denn es ist eine Kastenhalslaute“, für diejenigen, die auch komplizierte Wörter so gerne mögen wie ich. Und sie hat neun Saiten und ist üblicherweise auf einen C-Dur-Akkord gestimmt und halt einfach eine heimische Weiterentwicklung der Zither-Instrumente, die wirklich sehr verbreitet war und in den Zwanzigern auch nochmal ein großes Revival hatte.
AV: Also eigentlich schon viele hundert Jahre alt, das Instrument.
PL: Genau. [spielt Zither an] So, nochmal kurz zum Hören.
AV: Wunderbar. Ich hoffe, du kannst viele neugierig machen auf dieses spannende Instrument, was dann ja auch oft zum Deutsch-Folk passend gespielt wird.
PL: Ja, das entwickelt sich gerade wirklich zu einem, also Geheimtipp kann man schon gar nicht mehr sagen, aber in der Szene gibt es Treffen, wo so der Running-Gag war: „Und, spielst du auch schon Waldzither?“ Und jetzt dieses Jahr beim Rudolstadt-Festival, dem großen europäischen Familientreffen der Folk-Szene bei Jena gab es sogar „WaldiMania“, wo ich glaube neun Waldzittern auf der Bühne zusammengespielt haben und beim letzten Lied waren noch alle eingeladen, die selber ein Instrument dabeihatten, mit einzustimmen in ein leichtes Lied.
AV: Wie kann man denn heute Folk oder Volksmusik, um es mal einfach ganz direkt beim Namen zu nennen, an junge Leute weiterbringen? Habt ihr da Pläne?
PL: Also eine Sache, die seit zwei Jahren durch die großartige Arbeit von Gudrun Walter sich etabliert hat, ist das Jugendfolk-Orchester, was wir auch die Freude haben sozusagen als Verband zu beheimaten. Das ist ganz, ganz toll, weil da Menschen zwischen 12 und 28 zusammen spielen, eine Woche intensiv miteinander Proben, geteilt in ein jüngeres und älteres Orchester und dadurch also eine ganz intensive Zeit miteinander mit diesen Musiken verbringen dürfen.
AV: Und auch improvisieren.
PL: Genau, das Gesinnere daran ist auch, dass einfach die Pädagogik auch viel über die Ohren geht, dass möglichst wenig mit Noten gearbeitet wird und eben dieses, was die Engländer ‚by heart‘ nennen, sehr gefordert und gefördert wird. Und ja, auch die Freiheiten, sich in der Musik selber einzubringen und den Notentext nicht unbedingt als das verbindliche Werk eines über uns allen stehenden Genies hinzunehmen, sondern die eigene Musikalität da mitzuerkunden.
AV: Wie toll. Also man paukt nicht nach Noten auswendig, sondern man lernt es über die Ohren direkt ins Herz. Und wenn ich richtig informiert bin, werden die Ergebnisse dann auch danach beim Rudolstadt Festival präsentiert durch die jungen Leute. Das ist natürlich DER Clou, finde ich. Und für die Hörenden, Gudrun Walter ist eine fantastische Folkgeigerin und Sängerin, die auch schon den Preis der Deutschen Schallplattenkritik gewonnen hat, also wirklich die Bühnen rocken kann, das kann man wohl sagen. Apropos Rocken, gibt es denn auch neue Elemente in der volksmusikalischen Spielweise, in dem ganzen Folk, den ihr vertretet? Wie geht ihr damit um? Erfindet ihr neue Sachen, die ihr auch als Folk betrachtet?
PL: Ja, auf jeden Fall. Also es ist ja eh immer die Frage, was bedeutet traditionell und was ist die Ebene, an der ich festmache, dass irgendwas an dem, was wir tun, kontinuierlich war. Also wir haben ja keine Aufnahmen von, wie das Ganze vor 1000 oder 800 oder 500 Jahren geklungen hat. Das heißt, etwas Zeitgenössisches ist immer dabei, die eigenen Hörgewohnheiten sind gegenwärtig. Es gibt Menschen, die auch die Melodien aus den Tanzhandschriften mit Techno-Beats unterlegen. Also dem Umgang damit und der Kreativität sind auch bei uns keine Grenzen gesetzt. Ich glaube, was die Szene zusammenhält, ist mehr so die gemeinschaftliche Liebe zum akustischen Instrument, zur kreisförmigen Folksession und allgemein einfach zum Miteinander. Also ich empfinde es als eine sehr Augenhöhe-lastige und als eine sehr demokratische und sympathische Szene.
AV: Toll, also auch gemeinschaftsstiftend im besten Sinne und auch Zusammengehörigkeit, egal woher man kommen mag, stiftend. Wie grenzt ihr euch da ab gegen völkische Traditionen oder auch Tendenzen von rechter Seite, Volksmusik zu beschlagnahmen quasi als das eigene und das deutsche?
PL: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Ich würde sagen, wir grenzen uns dadurch ab, dass wir es tun, aber gleichzeitig auch, also wir haben erstaunlich wenig Kontakt zu den Szenen, die da eher in rechte Gefilde übergehen. Also zum Beispiel Neofolk ist so eine Szene, wo auch Folk im Namen drinsteht, die aber teilweise viel mehr auch mit provokanten Symbolen arbeiten. Also natürlich auch nicht alle in dieser Szene, aber so die Folkszene, in der wir unterwegs sind, hat sehr wenig Berührungspunkte bisher, meines Empfindens, menschlich mit Menschen, wo ich mir denke, da müssten wir vielleicht noch mal drüber reden, aus welchen Gründen du das singst. Aber wenn es nach mir ginge, könnten wir auch viel mehr einfach noch inhaltliche Auseinandersetzungen leisten, also wirklich Lieder auch uns zu eigen machen, umdichten, mit unseren Themen verbinden, was eben die Themen der Gegenwart sind und dadurch einfach auch noch klarer auftreten. Aber ich habe auch lange in einer Band gespielt, die hieß Waldzither-Punk.
AV: Waldzither-Punk.
PL: Insofern war da schon von Anfang an irgendwie klar, was da auch nicht geht.
AV: Also neue Formen traditioneller Musik sozusagen, frisch aufgeladen.
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[Musik]
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AV: Wie bist du selbst überhaupt dazu gekommen, zum Folk?
PL: Ich sage manchmal, dass ich den Eindruck habe, dass die Folkmusik mich auch so ein bisschen vom Rand der rechten Szene wieder abgeholt hat, weil ich meine thüringische Jugend in der Thüringer Provinz in der Metal-Szene und eben auch am rechten Rand derselben verbracht habe, aber gleichzeitig das Glück hatte, dass die Mutter meiner langjährigsten Freundin ein paar Folkplatten aus den 70ern und 80ern hatte. Und da bin ich in die Abschiedstournee einer Band namens Wacholder geraten und hatte währenddessen das Gefühl, oh mein Gott, warum hat mir nie jemand erzählt, dass es Musik gibt, die heimatverbunden, kritisch, poetisch, gut gespielt, virtuos ist und wo ich das Gefühl bekomme, die Menschen haben mit dieser Musik wirklich gelebt. Und das hat mich ganz tief berührt.
AV: Und das hat dich dann dazu gebracht, selbst Musikerin und Künstlerin im Bereich des Folk zu werden?
PL: Ja, es hat auf jeden Fall mein Schreiben befördert. Es hat auf jeden Fall befördert, dass ich dachte, wow, wenn ihr alle so viele Instrumente auf der Bühne spielt, ihr könnt das unmöglich alles studiert und gelernt haben, dann nehme ich jetzt auch einfach mal alles in die Hand, was so rumsteht und schaue, wie weit ich damit komme. Und deswegen spiele ich auf der Bühne halt manchmal auch Mandoline oder andere Instrumente, wobei es mir dann eben relativ egal ist, ob andere das als virtuos empfinden. Sondern ich mag die Klangvielfalt, die die Folkszene eben auch mitbringt.
AV: Was ist deine Vision für Pro Folk oder für den Folk in Deutschland?
PL: Es wäre ganz fantastisch, wenn Menschen schon in der Schule oder im Kindergarten erfahren, dass es all das gibt, dass es eine viel, viel größere Instrumentenvielfalt gibt als Klavier, Gitarre, Blockflöte. Wie viel Spaß es macht und wie wenig es braucht, miteinander zu tanzen. Dass deutsche Kultur nicht nur bedeutet Nazi-Kram oder Schiller und Goethe, sondern dass es davor eine ganz, ganz lange Geschichte gab von tollen Menschen, tollen Melodien, auch Widerständigem, was interessant ist. Ja, also rein in die Bildung, rein in die Medien, die sich ja aktuell eigentlich nicht sonderlich viel dafür interessieren, was bei uns da so passiert. Und ja, Visionen? In jedem, in jeder mittleren Kleinstadt beim Stadtfest einen schönen Ball-Folk.
AV: Vielen Dank, liebe Peggy, für deine spannenden Einblicke. Ich wünsche dir alles Gute für ProFolk und eins muss klar sein, wir unterstützen euch sehr gerne, weil diese Haltung auch des authentischen, persönlichen, offenen Musizierens macht einfach Sinn. Und wenn das viele junge Menschen ergreift, die damit auch eine Freiheit des Musizierens erfahren, jenseits von Notenschrift, dann ist das nur zu begrüßen. Was natürlich nicht heißt, dass man nicht Noten lernen sollte, aber man kann ja auch ohne spielen - das ist sehr schön. Ich hoffe, wir konnten unsere Hörerinnen und Hörer anregen, sich selbst mal mit Folk zu beschäftigen oder wenigstens zuzuhören. Und wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, abonnieren Sie unseren Podcast und bewerten Sie uns auf Ihren Plattformen und teilen den Podcast mit Ihren Freundinnen und Freunden. Vielen Dank fürs Zuhören und weitere Infos und Links zum Thema in unseren Shownotes. Danke.
PL: Danke für die Einladung und die schönen Fragen.
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