Folge 21: Warum sind Sie Botschafterin für Musik und Demenz?
Shownotes
Die Bundesinitiative Musik & Demenz (BIMuD), zu deren Gründungsmitgliedern der Deutsche Musikrat zählt, hat Dr. Sarah Straub zur „Botschafterin der BIMuD“ berufen. Die gemeinsame Überzeugung: Aktives Musizieren und musikalisches Erleben tragen zu einem menschenwürdigen Altern und einer höheren Lebensqualität von Menschen mit Demenz bei. Zum Auftakt ihrer Botschafterinnen-Tätigkeit war Dr. Sarah Straub zu Gast im Interviewformat von DMR-Generalsekretärin Antje Valentin. Darin spricht sie über ihren Alltag zwischen Forschung, Beratung und Konzertsaal, über die Bedeutung von Teilhabe und Kultur für das „Menschsein“ – und gibt auch Einblicke in ihre Musik.
Die Neuropsychologin, Autorin und Liedermacherin Sarah Straub wurde 2015 an der Universität Ulm mit einer Arbeit über Demenzerkrankungen promoviert und arbeitet in der Forschungsabteilung des Universitätsklinikums Ulm, wo die frontotemporale Demenz, eine neurodegenerative Erkrankung, einen Schwerpunkt ihrer Arbeit darstellt. Zudem leitet sie eine Demenzsprechstunde für Betroffene und pflegende Angehörige. Parallel dazu ist sie als erfolgreiche Liedermacherin unterwegs: In ihren Konzerten bundesweit sensibilisiert sie für einen lebensbejahenden und offenen Umgang mit Demenz.
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Der Podcast des Deutschen Musikrats mit Antje Valentin
Folge: Warum sind Sie Botschafterin für Musik und Demenz?
Autorin: Antje Valentin (AV)
Gast: Dr. Sarah Straub (ST)
„Und ich denke, das darf nicht sein. Auch in einem fortgeschrittenen Demenzstadium haben die Leute ein Recht darauf, in der Mitte der Gesellschaft zu bleiben und die haben ein Recht darauf, dass wir alles dafür tun, zu überlegen, wie kann es denen gut gehen. Und das muss von oben passieren…“
Antje Valentin: Heute spreche ich mit…
Sarah Straub: Sarah Straub.
AV: Herzlich willkommen. Die Bundesinitiative Musik und Demenz wird gemeinsam vom Deutschen Musikrat mit der Deutschen Musik Therapeutischen Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Musik-Geragogik, dem Bundesmusikverband Chor und Orchester und dem Landesmusikrat Hamburg getragen. Heute spreche ich mit Sarah Straub, weil sie unsere Botschafterin für die Bundesinitiative Musik und Demenz geworden ist. Liebe Sarah Straub, wie sind Sie zu diesem Thema gekommen?
ST: Es war wahrscheinlich am ehesten Zufall. Musik habe ich natürlich mein Leben lang schon gemacht. Mein Vater ist auch Musiker, er ist unter anderem Klavierlehrer, deswegen habe ich auch früh schon Klavier gelernt. Die Demenz kam in mein Leben, weil meine Oma erkrankt ist, als ich Anfang 20 war. Ich war als Kind ganz viel bei ihr. Sie war fast meine erste Bezugsperson eigentlich und ich habe diese Frau heiß und innig geliebt. Ihre Demenzerkrankung war für mich eine sehr lebensverändernde Situation, weil ich sie gerne selbst pflegen, sie selbst begleiten wollte. Ich habe mich damals als pflegende Angehörige sehr überfordert gefühlt, weil ich nichts über Demenz und Pflege wusste. Ich hatte das Gefühl, ich kann ihr kaum Lebensqualität erhalten. Das war so ein schmerzlicher Prozess, mit ihr diese Erkrankung zu durchleben, sodass ich meinen Wunsch, mit Musik mein Geld zu verdienen, nicht ad acta gelegt habe, aber doch auch einen anderen Lebensmittelpunkt gleichzeitig gewählt habe. Ich habe versucht, so viel wie möglich über Demenz zu erfahren. Ich habe dann Psychologie studiert, habe mich im Studium schon auf Demenz ein bisschen fokussiert, habe dann danach promoviert zum Thema Demenz und begleite jetzt seit über 15 Jahren Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen, bin aber auch Musikerin. Also ich bin schon vor 10, 15 Jahren immer regelmäßig auf Tour gegangen, habe Lieder geschrieben, schon als Kind. Das war immer meine große Leidenschaft. In den letzten Jahren habe ich immer mehr versucht, beide Leben zu verbinden und habe auch immer mehr natürlich die Erfahrung gemacht in der Arbeit mit den Betroffenen, dass Musik ein ganz besonderer Bestandteil ist, um den Menschen Lebensqualität zu erhalten und um sie auch am Leben teilhaben zu lassen. Deswegen ist das jetzt für mich ein absoluter Fokus. Ich glaube, Musik ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt, um den Menschen auch ihre Würde zu wahren.
AV: Was für ein spannender Aspekt. Also wie gelingt Ihnen das? Zum Beispiel bei einem Konzert, sprechen Sie mit den Menschen?
ST: Genau, also ich mache ganz Unterschiedliches. Auf den Konzerten ist es ja erstmal so: da sitzt ein Publikum vor mir, das nicht erwartet, dass ich über das Thema Demenz spreche. Nicht unbedingt. In den letzten Jahren vielleicht schon, weil die Menschen mich über das Thema Demenz kennen, weil ich viel öffentlich auftrete. Aber erstmal sitzt ein neutrales Publikum vor mir und dann mute ich meinem Publikum zu, jetzt mit diesem Thema konfrontiert zu werden.
AV: Also die Menschen wollen Sie hören. Sie gehen in ein Konzert zu einer Singer-Songwriterin oder wie Sie sich bezeichnen?
ST: Als Liedermacherin.
AV: Die gehen in das Konzert und werden dann mit dem Thema überrascht. Es ist also nicht ein Konzert, was sich an von Demenz Betroffene richtet, ausdrücklich.
ST: Genau, also nicht nur. Erstmal kommen irgendwelche Leute auf das Konzert, die meine Musik mögen. Dann konfrontiere ich sie mit dem Thema und spreche darüber. Ich sehe meine Aufgabe zum einen darin, den Menschen Mut zu machen, weil ich davon überzeugt bin, dass Demenz zu unserem Leben dazugehört. Ich arbeite auch in der Forschung. Ich weiß ganz genau, dass wir noch relativ lange brauchen werden, um wirklich heilen zu können. Demenz ist ein sehr komplexes Thema. Es sind ganzunterschiedliche Erkrankungen, die unterschiedlich auch therapeutisch angegangen werden müssen. Also das bedeutet, wir müssen damit umgehen. Und das bedeutet auch, wir müssen die Angst davor verlieren. Und die Angst davor verlieren wir, glaube ich, indem wir uns Wissen aneignen und indem wir Begegnungen mit Betroffenen schaffen. Und was ich auch mache auf meinen Konzerten, ist, ich lade die Menschen ein, Betroffene mitzubringen. Ich möchte, dass Menschen mit Demenz auf meine Konzerte kommen, weil ich auch möchte, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen komisch, aber ich möchte, dass die Menschen das aushalten, dass da Menschen mit Demenz im Publikum sitzen, die sich vielleicht anders verhalten als wir Gesunde. Also wenn Patientinnen und Patienten von mir da sind, da kann auch sein, die stehen nach einer halben Stunde auf, weil es ihnen zu viel wird oder weil sie nicht mehr wissen, warum sie stillsitzen sollen. Und ich finde das zauberhaft, weil: das ist Inklusion. Und Menschen sind unterschiedlich. Und Menschen mit Demenz sind immer noch ganz normale Leute, die ein Recht haben auf Teilhabe. Und nichts ist verbindender als Musik. Und natürlich mache ich auch Konzerte bewusst und ganz offensiv für Menschen mit Demenz, Menschen ohne Demenz. Aber die schönsten Momente sind für mich die, wo es die Leute nicht erwarten, weil sie dann konfrontiert werden und die Erfahrung machen können, ach so, die sind ja immer noch Teil unserer Lebensrealität und die haben ja immer noch ein Leben und die sind ja immer noch da. Und da passieren so viele zauberhafte Dinge.
AV: Haben Sie ein Beispiel, was ganz Konkretes?
ST: Ja, also zum Beispiel, da sitzt dann ein Betroffener im Publikum und plötzlich singt er oder sie mit.
AV: Lautstark wahrscheinlich.
ST: Lautstark, genau. Oder tanzt. Und die Angehörigen sitzen nebendran und denen war gar nicht bewusst, dass die das noch können. Zum Beispiel mitzusingen oder dann so aus sich raus zu gehen und glücklich zu wirken. Das sind ja auch für die Angehörigen oft so Erfahrungen so, ah, wir unterschätzen die Betroffenen auch. Da geht ja noch ganz viel eben mit dem Medium Musik. Und das ist doch das, was die Musik so wichtig macht im Umgang mit Demenzerkrankungen, dass man da auch nicht nur Teilhabe fördert, es ist ja auch irgendwie ein, man ermöglicht den Betroffenen wieder an sich selbst irgendwo anzuknüpfen. Also die hören dann ein Lied, das kennen die vielleicht von früher und plötzlich sind da Erinnerungen wieder aufrufbar, die verschüttet wirkten vorher, wo man dachte...
AV: Im Grunde werden alte Potenziale wieder geweckt und man merkt, wer, und dann ist der ursprünglich verschüttet gegangene Mensch wieder sichtbar, wenn ich sie so erzählen höre…
ST: Genau. Und das ist ja nicht nur für die Angehörigen schön, sondern auch für die Betroffenen selbst. Also wie großartig ist es, wenn die sich für einen Moment wieder selber spüren. Ich meine, das Dramatische an einer Demenzerkrankung ist doch, dass für die Betroffenen selbst die Welt immer weniger begreifbar wird. Aufgrund der geistigen Leistungseinschränkungen, der kognitiven Beeinträchtigungen wird doch die Welt immer auch bedrohlicher, weil man sie nicht mehr versteht, weil man nicht mehr mitkommt. Ich meine, wie muss sich das anfühlen? Ich versuche mich immer in die Patienten reinzuversetzen und denke mal, das ist doch Wahnsinn. Und die Musik ist da so ein Türöffner zur eigenen Identität und wieder mal zu wissen, wer bin ich überhaupt? Wer war ich? Und das ist Lebensqualität. Und das ist eigentlich so einfach. Es braucht nur Musik.
AV: Großartig. Und es ist ein Recht, ein Menschenrecht. Artikel 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verlangt einfach Teilhabe an Kultur für alle Menschen. Und natürlich auch für Menschen mit Demenz.
ST: Genau. Und ich finde, man kann das gar nicht hoch genug ehren. Also man sieht es in Zeiten, wenn es der Welt schlechter geht, jetzt mal ganz platt gesprochen, dann ist doch die Kultur immer das Erste, was so ein bisschen hinten runterfällt, wo man denkt, das ist nicht so wichtig. Aber das stimmt nicht.
AV: Es ist genau andersrum.
ST: Ja, es ist genau andersrum. Wir Menschen sind angewiesen auf Kultur und Teilhabe und Kunst. Das macht das Menschsein aus. Das bedeutet eine menschliche Gesellschaft.
AV: Nach dem Zweiten Weltkrieg zum Beispiel war so immens. Und da sind Orchester teilweise wohl zu Fuß durch Deutschland gewandert, um ihre Konzerte zu machen und die Menschen haben die Säle oder die zerbombten Gebäude gefüllt. Das kann man sich unglaublich vorstellen.
ST: Genau. Wir brauchen natürlich auch die Möglichkeit, emotionalisiert zu sein. Gerade in Zeiten, wo es den Menschen vielleicht nicht gut geht. Ihr Beispiel in der Kriegssituation, wo so viel Dramatisches passiert - dann brauche ich Musik, um wieder mal etwas Schönes zu spüren. Musik wirkt ja so unmittelbar auf unser Gehirn, auf unser Herz. Ich kann mich da einfach davontragen lassen. Und wenn ich ein Lied höre, das mich berührt, dann kann es mir noch so schlecht gehen. Dann fühle ich mich wohl in diesem Moment. Und das braucht der Mensch.
AV: Sie forschen, Sie sprechen von Ihren Patienten. Das sind die, mit denen Sie forschen im Bereich der neurodegenerativen Erkrankungen, wenn ich es richtig verstanden habe. Und Sie konzertieren und haben auch eine Band oder spielen allein in der Regel. Wie verbindet sich das?
ST: Ich leite eine Demenz-Sprechstunde am Universitätsklinikum in Ulm. Ich sehe jede Woche im Rahmen dessen Patientinnen und Patienten, die ich untersuche, den aktuellen Erkrankungsstatus mir anschaue, die Angehörigen berate, um sie zu unterstützen. Ich versuche, den Menschen Wissen zu vermitteln, wo sie Hilfe herbekommen, die ganzen behördlichen Dinge, die ja auch sehr viel Aufwand bedeuten. Und ich habe auch eine Onlinesprechstunde, in der ich pflegende Angehörige berate, sieben Tage die Woche. Das ist der eine Teil. Dann forsche ich. Ich erforsche ganz speziell die frontotemporale Demenz. Das ist eine Demenzerkrankung, die meist Menschen vor dem 65. Lebensjahr schon betrifft, wo Verhaltensauffälligkeiten und oder Sprachstörungen im Vordergrund stehen, gar nicht so sehr Gedächtnisstörungen. Ich erforsche Grundlagen der Erkrankung. Ich beschäftige mich viel mit Bildgebung, mache aber auch Therapiestudien im medikamentösen Bereich. Wie man sich vorstellen kann, das ist der frustrierendste Part meines Jobs, weil es gibt natürlich noch keine Medikamente, die bahnbrechend sind, auch wenn immer wieder vielversprechende Wirkstoffe versucht werden. Aber da sind viele Fragezeichen offen. Ich begleite die Menschen schon sehr ganzheitlich, weil ich, weil das eigentlich mein Herzensthema ist. Also wenn jetzt zum Beispiel Patienten musizieren oder wenn ich erfahre, dass da vielleicht ein Instrument gespielt wird und so, dann versuche ich die Familien auch dahingehend zu beraten, sie weiter zu verweisen, weil ich weiß eben wie viel Potenzial da drin steckt. Ich mache auch kleine Konzerte für meine Patienten ab und zu. Es kam auch schon vor, dass ich einen Patienten eingeladen habe, bei uns ein Konzert zu spielen in der Klinik, einfach für die Kolleginnen und Kollegen. Auch das ist natürlich großartig.
AV: Entschuldigung, erforschen Sie dann auch die Wirkung der Musik auf die von Demenz Betroffenen?
ST: Das fehlt mir noch. Da brauche ich auch mal noch eine wissenschaftliche Auswertung, weil erfahren tun wir das natürlich täglich, aber Daten müssen wir uns noch erheben. Das stimmt, genau. Und dann bin ich natürlich als Liedermacherin auf der Bühne. Ich trete alleine auf oder ich habe noch Musiker dabei, klassische Besetzung, Gitarre, Bass, Schlagzeug. Und wie gesagt, ich komponiere schon fast mein ganzes Leben lang selbst und nehme eben das Thema Musik da mit auf die Bühne, lade die Menschen ein, die Betroffenen mitzubringen, spreche darüber, kläre auf und erzähle den Menschen zum einen, was die Erkrankung bedeutet, aber eben auch, wie man damit umgehen kann und was den Betroffenen guttut. Und da ist die Musik für mich natürlich ganz zentral.
AV: Sie sprachen von den verschiedenen Arten von Demenz. Für Laien wie mich ist ja Demenz irgendwie wie ein Krankheitsbild. Aber ich habe gerade gelernt, nein, es gibt sehr viele. Heißt das auch, dass verschiedene Arten von Musik ratsam sind, je nach Krankheitsbild?
ST: Das ist eine komplexe Frage. Also grundsätzlich ist Musik dann am wirksamsten, wenn sie individuell auf die Person eingeht. Also wenn wir mit Musik arbeiten, die der Person, die adressiert wird, persönlich etwas bedeutet. Das finde ich am wirksamsten, weil man da die Betroffenen auch am besten erreicht. Aber es gibt Demenzformen, jetzt zum Beispiel die Frontotemporale Demenz, die mit Verhaltensauffälligkeiten einhergeht, wo auch oft eine große innere Unruhe dabei ist. Also eine krankheitsimmanente große Anspannung in den Personen. Das wirkt auf Angehörige oft wie eine Art Aggressivität. Es ist keine Aggression, aber es fühlt sich so an. Und da würde man, wenn man mit Musik arbeitet, natürlich auch bei der Musik selbst darauf achten, dass man den Betroffenen etwas zuführt, was sie entspannt. Musik, die jetzt nicht noch weiter aufpeitscht, sondern man versucht die Menschen auch das Wohlbefinden zu stärken durch die Art der Musik. Da gibt es so viele unterschiedliche Möglichkeiten und es ist wahrscheinlich schon sinnvoll, auch unterschiedliche Demenzformen dann zu adressieren.
Aber klar, Demenz für die Allgemeinbevölkerung ist oft Alzheimer. Aber Alzheimer ist halt eine Form von vielen. Wir kennen in der Wissenschaft über 50 unterschiedliche Demenzformen. Und es gibt einfach ganz unterschiedliche Ursachen. Also entweder ist eine Demenz ein fortschreitendes Nervenzellsterben im Gehirn, wo immer mehr Hirnbereiche degenerieren und dementsprechend dann auch die Fähigkeiten im Alltag immer weiter abnehmen. Aber es gibt auch zum Beispiel die vaskuläre Demenz. Da sind eigentlich die Gefäße das Problem. Die blutversorgenden Gefäße im Gehirn werden irgendwie betroffen. Die gehen zu, weil irgendwelche Ablagerungen da sind. Da passieren Schlaganfälle. Die Gefäße werden porös und gehen auf. Dann gibt es eine Hirnblutung. Und auch das bedeutet ja eine Schädigung des Gehirns und macht dann kognitive Beeinträchtigungen.
Es gibt aber auch Demenzformen, die haben mit dem Gehirn eigentlich gar nichts zu tun und sind im Zweifel vielleicht behandelbar. Also zum Beispiel, wenn Sie einen manifesten Vitamin B12-Mangel haben, das hat mit dem Gehirn erstmal nichts zu tun. Das macht auch Gedächtnisstörungen. Und das kann man wenn man das Vitamin B12 wieder auffüllt, macht auch diese Gedächtnisstörungen wieder besser. Aber das ist etwas sehr Seltenes. Das wird oft erstmal in hausärztlichen Praxen mal versucht. Man gibt mal Vitamin B12 und schaut, ob es besser wird. Manchmal hilft es. Auch eine schwere Depression macht Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen, Aufmerksamkeitsdefizite. Das wirkt wie eine Demenz. Und es ist auch de facto eine Demenz. Aber es ist eine behandelbare, reversible Demenz. Wenn man eben die schwere Depression gut behandelt, geht das wieder zurück. Aber wir sprechen ja eigentlich hier auch in der Behandlung von Menschen mit Demenz oder adressieren Menschen, die eine hirnbedingte Demenz haben, die nicht heilbar ist, wo es ein fortschreitender Prozess ist, wo man schaut, wie kann man diesen Menschen ein gutes Leben erhalten. Und da ist für mich Musik eben ein ganz wichtiger Bestandteil, weil grundsätzlich, ich finde, dass zu wenig darüber gesprochen wird, dass das Leben erst vorbei ist, wenn es vorbei ist. Und die Menschen, die eine Demenzdiagnose haben, fallen viel zu schnell oft aus der Mitte der Gesellschaft. Und man bemüht sich nicht mehr ausreichend um den Erhalt von Lebensqualität. Und deswegen glaube ich, wir brauchen viel mehr Musik im Alltag dieser Menschen.
AV: Genau, das ist ja auch das Anliegen unserer Bundesinitiative Musik und Demenz, kurz BIMuD. Was hat Sie eigentlich bewogen, Botschafterin dafür zu werden?
ST: Weil diese Initiative natürlich mein Thema trifft. Ich bin ja fast aus allen Wolken gefallen, als ich das erste Mal davon gelesen habe, weil ich mir dachte, wie großartig. Genau das brauchen wir. Wir brauchen ein Bündnis, eine Initiative, die stärkt, was wir wissen, die wir in diesem Bereich arbeiten, die wir uns mit Menschen mit Demenz beschäftigen, die wir uns mit Musik beschäftigen. Wir brauchen Initiativen, die das Wissen nach außen tragen, in die breite Gesellschaft, in die unterschiedlichen Regionen. Wir brauchen Öffentlichkeitsarbeit. Wir müssen die Menschen informieren, dass es sehr wohl möglich ist, Menschen mit Demenz noch zu erreichen und dass Musik so ein niederschwelliger Schlüssel ist. Es gibt doch kaum eine Person auf der Welt, die nicht sagt, Musik ist schön. Wie wenige Menschen gibt es, die nichts mit Musik anfangen können? Die allermeisten Menschen lieben Musik.
AV: Sie sind ja nah dran am medizinischen Bereich. Ist denn das Wissen darum im medizinischen Bereich verbreitet, dass Musik bei Demenz ein ganz wichtiger Schlüssel ist?
ST: Absolut. Ja, das ist schon verbreitet, aber natürlich sind die ärztlichen Kollegen sehr darauf geschult, medikamentös zu behandeln. Ich bin aber Psychologin, deswegen habe ich ein bisschen eine größere Distanz, bin mir der begrenzten Wirksamkeit von Medikamenten sehr bewusst und sehe mich da auch so ein bisschen als Schnittstelle. Ich arbeite natürlich auch im medizinischen Bereich. Ich habe in der medizinischen Fakultät auch promoviert, ich arbeite in der Neurologie. Aber ich sehe mich da auch schon in der Klinik als Botschafterin, um die Musik als wichtiges Tool zu verbreiten, weil die ärztlichen Kollegen das oft nicht so auf dem Schirm haben oder die die Wichtigkeit nicht wissen. Das ist dann auch meine Aufgabe, das zu erklären.
Es gibt einfach viele wissenschaftliche Belege dafür. Klar, wir haben viele Studien, die medikamentös die Wirksamkeit prüfen und haben mittelmäßige Ergebnisse. Aber es gibt eben auch, was Musik betrifft, großartige Ergebnisse, was das mit den Betroffenen macht, nicht nur das Wohlbefinden betreffend, auch auf neuronaler Ebene. Man kann sehr wohl auch das Gehirn trainieren. Es gibt ja so coole Studien auch, zum Beispiel, wenn jemand Klavier spielt. Ich sage immer, Klavier spielen ist im Endeffekt wie Ganzkörpertraining fürs Gehirn, weil da so viele unterschiedliche Regionen involviert sind. Deswegen sage ich immer, spielen Sie Klavier. Mein Papa hat auch Schüler, die neu angefangen haben, die sind schon lange in Rente. Ich denke immer, wie geil, weil die tun ja was für den Erhalt ihrer geistigen Gesundheit.
AV: Da kann ich auch nur ergänzen, als Pianistin und Klavierlehrerin, die ich auch selber eigentlich ursprünglich war, man kann auch in jedem Alter Klavier spielen lernen. Das macht Höllenspaß. Man muss sich die richtigen Lehrer suchen oder es einfach selbst probieren. Aber das freut mich sehr zu hören, dass Sie das so unterstützen. Und damit hat Klavierspielen mehr als nur Musikmachen intus, sondern es ist, wie Sie sagen, ein Training. Was denken Sie, wo hakt es in Politik und Gesellschaft bei dem Thema? Was muss sich da ändern?
ST: Naja, ich glaube, in der Politik ist der Stellenwert noch nicht so klar. Ich verstehe sehr, dass immer viele Themen drängen und dass das Thema Demenz und der Umgang damit an Stelle XY steht. Aber uns ist gleichzeitig doch auch klar, dass es vielleicht kein wichtigeres Thema gibt, weil wir in einer Gesellschaft leben, die immer mehr ältere Menschen bedeutet. Das lernt man ja heutzutage schon in der Schule, den demografischen Wandel. Das wissen wir alle, dass jetzt in den nächsten Jahren sehr, sehr viele Menschen in die Krankenkasse gehen und sehr, sehr viele Menschen werden auch krank werden. Und sehr, sehr viele Menschen werden vor der Situation stehen, wie können wir jetzt diese Menschen begleiten und wie kann man denen auch bestmöglich Lebensqualität erhalten. Und deswegen brauchen wir unbedingt ein größeres Bewusstsein in der Breite der Gesellschaft, auch für die Bedeutung der Musik, weil es eben so niederschwellig ist, weil man dafür ganz viele Menschen auch gewinnen kann. Man muss ja nicht studierte Konzertpianistin sein, um Menschen mit Demenz da etwas Gutes zu tun. Und gleichzeitig brauchen wir aber auch, glaube ich, erstmal ein Bewusstsein, auch in der Politik, weil die sind diejenigen, die gesamtgesellschaftliche Veränderungen anschubsen können, dass wir eben verstehen, dass mit dieser Diagnose das Leben nicht vorbei ist. Ich habe immer das Gefühl, dagegen kämpfe ich eigentlich noch an, dass die Menschen einfach so ein bisschen weggeschoben werden und dann wartet man darauf, dass die versterben. Und ich denke, das darf nicht sein. Auch in einem fortgeschrittenen Demenzstadium haben die Leute ein Recht darauf, in der Mitte der Gesellschaft zu bleiben und die haben ein Recht darauf, dass wir alles dafür tun, zu überlegen, wie kann es denen gut gehen. Und das muss von oben passieren. Das können wir aus der Basis natürlich immer in der Öffentlichkeit erzählen, aber wir brauchen auch die Politik.
AV: Das können wir in den Gesundheitsausschuss tragen und stellen gerade erfreut fest, dass die neue Gesundheitsausschussvorsitzende im Bundestag sich dessen auch schon bewusst zu sein scheint, die Tanja Maralit. Das ist ganz großartig und da sind wir, glaube ich, gute Verbündete und auch als Anregung für alle, die als Amateure Musik lieben und auch musizieren und singen: Man kann das natürlich selbstverständlich mit seinen dementen Verwandten machen und es hilft ihnen auch. Also man muss nicht studiert haben, wie sie sagen. Das ist eine tolle Chance.
ST: Ja, ich kann doch einfach auch gemeinsam singen zum Beispiel. Ich muss ja nicht mal ein Instrument dabei spielen. Ich sehe es auch, wenn ich stationäre Pflegeeinrichtungen besuche, dieses gemeinsame Singen, also diese Förderung auch von einem Gemeinschaftserlebnis. Auch das ist ganz, ganz zauberhaft. Wenn die Menschen dann, wenn sie etwas zusammen singen, sich auch wieder als Gemeinschaft empfinden, ob bewusst oder unbewusst, ist total egal. Aber ich bin in dem Moment nicht alleine, wenn ich mit anderen Menschen singe. Und Einsamkeit ist auch ein großes Thema, wenn man älter wird und wenn man krank wird. Und dieses immer größer werdende Nicht-Verstehen der Welt und alles als immer mehr bedrohlich empfinden, weil man die geistigen Ressourcen nicht mehr hat, um zu verstehen. Musik, da spüre ich mich dann wieder. Und dann sind andere, die singen mit mir und die gehören dann zu mir in diesem Moment. Und das ist ganz, ganz toll.
AV: Super. Sie sprachen von der Online-Sprechstunde. Ich ahne, dass sich Hörende unseres Podcasts fragen, wo kann ich denn Frau Straub erreichen?
ST: Man kann mich sehr gerne erreichen über www.frag-nach-demenz.de. Das ist ein Projekt mit dem Münchner Verein Desideria. Da haben wir die Möglichkeit, ganz datenschutzsicher auch Anfragen per Mail entgegenzunehmen. Oder es gibt einen Videochat, also Videotermine, wo man dann mit mir face-to-face oder mit Kollegen auch sprechen kann. Wir sind ein kleines Team und wir versuchen, Menschen, die Fragen rund um das Thema Demenz haben, wirklich sieben Tage die Woche auch für die da zu sein, auch an Feiertagen, auch am Abend. Weil wir wissen, dass wenn es zu Hause brennt, wenn man nicht mehr weiter weiß, weil die betroffene Person vielleicht nicht gut geht, dann sind es oft irgendwelche Randzeiten, wo kein Arzt erreichbar ist und keine Beratungsstelle auf hat. Was macht man dann als Familie? Da haben wir die Lücke gesehen im Versorgungssystem und versuchen, sie da so ein bisschen zu füllen.
AV: Das ist super. Ja, herzlichen Dank. Einen kleinen Hinweis noch für Hörende. Unser Bundesmusikverband Chor und Orchester hat mit „Länger fit durch Musik“ auch gerade ein Programm aufgelegt, unterstützt vom Bundesfamilienministerium für genau diese Aktivitäten in Richtung Amateurmusik und Demenz. Vielen Dank für den spannenden Einblick, liebe Sarah Straub. Ich hoffe, wir konnten unseren Hörerinnen und Hörern eine Anregung geben, selbst in dem Bereich Musik und Demenz aktiv zu werden. Denn das wäre wunderbar, wenn das viele Menschen ganz selbstverständlich in ihren Alltag einbauen. Allein schon, wenn sie in ihrer Umgebung darüber berichten, was Musik alles bewirken kann, unterstützen sie unser Anliegen ganz enorm. Wenn euch die Folge gefallen hat, abonniert unseren Podcast, bewertet uns gern auf euren Plattformen und teilt den Podcast mit Freundinnen und Freunden. Weitere Infos und Links zu diesem Thema findet ihr in den Shownotes.
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