Folge 2: Musikalische Innovation heute, Ensembles zeitgenössischer Musik im Fokus
Shownotes
Am 27. und 28.9.2023 veranstaltete das Podium Gegenwart in der Villa Elisabeth Berlin ein Symposium zu aktuellen Themen der Ensemble-Landschaft in der zeitgenössischen Musik-Szene Deutschlands mit dem Schwerpunktthema Diversität. Ziel der Veranstaltung war, in der Szene neuer Musik das Bewusstsein für Dimension und Relevanz des Themas Diversität zu stärken und Möglichkeiten für dessen Berücksichtigung und Umsetzung aufzuzeigen. An beiden Veranstaltungstagen fanden Diskussions-Panels und offenere Formate zu Themen statt, die die Ensembles in verschiedenen Bereichen ihres Wirkens beschäftigen, wobei sie durch das übergreifende Thema Diversität miteinander verbunden waren.
Diversität hat vielfältige Dimensionen, die – mal konkreter, mal abstrakter – die Basis für die Betrachtungen der einzelnen Panels bildeten. Gleichzeitig wurden Schlaglichter auf die grundlegende Situation der Ensembleszene Deutschlands geworfen, auch um Missstände herauszuarbeiten und so die Weiterentwicklung der (neuen) Musik zu fördern. Um eine Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis zu ermöglichen, wurden beide Konferenztage durchdrungen von kurzen Konzerten. Bei den Interpret*innen handelte es sich um aufstrebende Formationen, die durch das Programm InSzene des Podium Gegenwart gefördert werden.
Mit Musikbeispielen von:
Genoël von Lilienstern: Couture (2014) für zwei Sinthesizersolisten und Orchester Benjamin Kobler, Lars Jönson, SWR Symphonieorchester, Ilan Volkov
Yiran Zhao: behind the apples (2018) für sechs Stimmen Neue Vocalsolisten Stuttgart
Jonah Haven: starnge nest (2020) für Bassklarinette, Klavier und Violoncello Trio Catch
Jonah Haven: gasser (2020) für acht Musiker:innen Ensemble Proton Bern, Gregor A. Mayrhofer
Genoël von Lilienstern: Top (2012/13) für Ensemble Ensemble Interface
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MUSIKALISCHE INNOVATION HEUTE, ENSEMBLES ZEITGENÖSSISCHER MUSIK IM FOKUS
Sprecher Bastian Zimmermann
Gemeinsam für Musik - der Podcast des Deutschen Musikrates.
Seit rund 70 Jahren hat der Deutsche Musikrat, der größte nationale Dachverband, die Musikkultur in Deutschland geprägt. Eine der wichtigen Neuerungen der letzten Jahre wurde die Förderung von jungen Ensembles. Wenn man so will, dem musikalisch künstlerischen Mittelstand.
Was treibt diese jungen Musiker:innen an, sich in Ensembles zusammenzufinden? Was hat das für kulturpolitische Bedeutung? Am 27. und 28. September dieses Jahres trafen sich zahlreiche Vertreter:innen aus Politik, Musikwirtschaft und eben auch aus den Ensembles in der Villa Elisabeth in Berlin, um der Frage von Diversität in Musik, insbesondere in der Ensemblelandschaft, nachzugehen. Und eben Ensembles sind in der zeitpolitischen Kunstmusik der prädestinierte Ort für musikalische Innovationen. Ich bin Bastian Zimmermann und möchte Ihnen in den nächsten Minuten davon berichten.
Ich möchte meinen Impuls aus meiner Biografie als Schreiberling, Dramaturg und Kurator heraus starten, um dann auf einen allgemeineren Punkt zu kommen.
Vor nun fast 15 Jahren habe ich meine Karriere als Freelancer in Frankfurt am Main gestartet und hab viel über Musik für verschiedenste Zeitschriften geschrieben, aber auch in dramaturgischen, musikalischen, performativen Kontexten gearbeitet. Und ich habe mich damals immer wieder gefragt: wo sind die Orte, an denen etwas künstlerisch stattfindet, etwas Neues entwickelt wird?
Es gab für mich als jungen Studierenden entweder etablierte - auch große - Institutionen, die wissen wie sie funktionieren und das Experiment, die Innovation als Marke raushängen lassen. Und dann eben nicht finanzierte, subkulturelle oder studentische Projekte, die spannend und innovativ sein konnten, aber eben für einen Freelancer nicht realistisch zum Überleben waren. Berlin war auch damals der Ort in Deutschland, wo es mehr gab. Eben Ensembles im einigermaßen gut finanzierten Mittelstand, die individuelle Projekte recht flexibel entwickeln können. In den anderen Städten in Deutschland (Anmerk.: gab es) damals fast nichts.
Heute, 15 Jahre später, ist es anders. Es gibt eine wirklich spannende Ensemblandschaft quer durch die Städte Deutschlands. Und mit Ensembles, die anders als die Großen funktionieren.
Aber was sind denn Ensembles? Es sind Gruppen von Menschen, die sich zusammen organisieren, die sich zusammen vielleicht auch anders organisieren, die sich aus sozialen Zusammenhängen heraus zusammenfinden. Darin liegt für die Frage von Diversität in der zeitgenössischen Musiklandschaft das große Potenzial.
Im Gegensatz zu etablierten Strukturen finden Sie als Gruppe ihre je spezifischen Ästhetiken und Organisationsformen. Einfach gesagt: sie setzen um was sie woanders vielleicht auch vermissen. Und ich möchte weiter behaupten: die junge zeitgenössische Ensemblelandschaft ist so etwas wie ein Hub für eine diverse Kunstproduktion. Auf der Ebene von Darstellenden, Dargestelltem und Produktionsweisen.
Auf der Tagung sagte jemand, ein Trio ist 3 Instrumente, ist aber auch 3 Menschen.
Dass es diese Vielfalt an Ensembles heute gibt hat auch den einfachen Grund, dass es seit einigen Jahren auch Gelder für sie gibt. Wichtig ist jedoch, dass die durch diese Gelder etablierten Arbeitsstrukturen auch eine Kontinuität erlauben. Ensembles mit neuen Ästhetiken und Produktionsweisen fordern aber auch die Förderinstitutionen heraus. Daraus kann man ‘was lernen, denn: wer fällt wie raus aus dem Förderschemata? Welche Netzwerke und Infrastrukturen müssen schon seitens der Künstler:innen etabliert sein, um von den großen Förderern überhaupt anerkannt zu werden?
Ich möchte ein Beispiel bringen: Das Solistenensemble Kaleidoskop in Berlin sind die Vorreiter im Bereich von Musikensembles, die sich inter- und transdisziplinären performativen Arbeiten seit ihren Anfängen verschrieben haben. Kurz gesagt: sie haben nie ein konventionelles Konzert gespielt. Oder vielleicht eins, einmal mit Augenzwinkern. Das heißt auch, sie entwickeln Projekte anders. Es wird eher wie im Theater wochenlang geprobt, Körper- und choreografische Arbeit geleistet und sich eben der klassischen Aufführungslogik von Auftrag, Partitur, Aufführung mit zwei Tagen Probe entzogen.
Für die Mitglieder des Solistenensemble Kaleidoskop gibt es keine Aufführungskonvention. Wie der Name schon sagt, ist es auch ein Ensemble von Solist:innen, die ihre je eigenen Ideen haben, die sie beizeiten in selbst angeleiteten Projekten auch umsetzen. Oder sie laden Gastregisseur:innen, Choreograf:innen, Komponist:Innen usw. ein, mit ihnen zusammen deren Ideen zu entwickeln und umzusetzen.
Die Existenz des Ensembles ist in den fast 15 Jahren immer wieder in Bewegung - manchmal bedroht - und sicher wird sie immer wieder von den verschiedensten Seiten der verschiedenen Betriebe, insbesondere der Musik, in Frage gestellt. Ich kenne auch diese Musikpersonen in Kulturämtern, die sagen, wenn die Geige sich von der Partitur erhebt und einmal im Kreis dreht, dann ist das nicht mehr Musik.
Musik kann aber so vieles sein! Musik ist zuallererst ein kommunikatives Medium mit dem ich mit anderen Menschen interagiere. Mein Körper produziert durch Bewegung Klänge. Selbst Tiere tun das. Ich kann aber auch das Laptop in die Hand nehmen. Wie auch immer ich und die anderen dann zu einem künstlerischen Resultat kommen, das ist offen. Wie es sich als Show oder Situation manifestiert, auch. Und am Ende entscheidet ein riesiges Netzwerk an Akteur:innen darüber, ob eine Ästhetik angesagt ist, sich weiterentwickelt oder eben nicht.
Das ist eben das Potenzial dieser jungen Ensembles. Sie provozieren Fragen, gute Fragen. Also, was wäre eine Garage-Band der Neuen Musik? Also, eine Gruppe von Musiker:innen, die sich ohne Förderung in einer Garage treffen, um miteinander abzuhängen und Dinge zu entwickeln. Ist das bei den aktuellen Konventionen überhaupt denkbar? Was letztlich zu der Frage führt, mit der ich abschließen möchte: Was für Karrieren sind im Bereich der zeitgenössischen Musik möglich? Muss denn jede:r Musiker:in und Komponist:in, die irgendwie mit ihren Projekten öffentlich gefördert wird, studiert haben? Und wenn Sie das doch gemacht hat, was ist das Repertoire an Musikhochschulen, das Musiker:innen und Komponist:innen gelehrt bekommen? Auch da: ein Wandel ist langsam in Sicht. Diese Momente des Wandels müssen jedoch irgendwo erprobt werden und die Ensembles sind eben dieser Spiel- und Probierraum für eine diverse Kunst und Musizierpraxis.
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