Folge 19: Amateurmusikstudie des miz
Shownotes
Quellen: • Jazzchor Freiburg. Mitschnitt aus „70 Jahre Deutscher Musikrat - Das Festkonzert 2023“ https://youtu.be/ABsKqP2E5z0?t=264 • Handglockenchor Gotha. Mitschnitt aus „: 70 Jahre Deutscher Musikrat - Das Festkonzert 2023“ (https://youtu.be/ABsKqP2E5z0?t=339) • Moselaner Wingertsbläser – privater Mitschnitt von Jutta Mettig • „Halte zu mir guter Gott“ Kinder- und Jugendkantorei Iserlohn – privater Mitschnitt von Ute Springer • Blasmusik Schenkenberg e.V. Mitschnitt von „50 Jahre Blasmusik in Schenkenberg“ https://www.youtube.com/watch?v=6GtI5aYfCYY • Big-Band des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums, Bonn. Privater Mitschnitt von Annemie Lehmann. • Ansgar Striepens: „Sturm und Drang“. BJO und Bujazzo. Mitschnitt aus 70 Jahre Deutscher Musikrat - Das Festkonzert 2023. Quelle: https://youtu.be/ABsKqP2E5z0?t=679 • Trailer „Singbus“ der Deutschen Chorjugend e.V. https://www.youtube.com/watch?v=OtiUf077XtA • Balalaika-Orchesters Druschba. Mitschnitt vom DOW 2021 https://www.youtube.com/watch?v=Wpu_OMoNS3U&t=248s
Shownotes zum Thema: • https://miz.org/de/fokus/amateurmusizieren-in-deutschland • https://frag-amu.de/ • https://bundesmusikverband.de/amateurmusikfonds-4/ • Ingo Roden, Florian D. Zepf, Gunter Kreutz, Dietmar Grube, Stephan Bongard: Effects of music and natural science training on aggressive behavior. Learning and Instruction, Vol. 45, Oktober 2016, S. 85–92. https://uol.de/pressemitteilungen/2016/357 • Klaus Klemm: Lehrkräftemangel in den Fächern Kunst und Musik. Zur Bedarfs- und Angebotsentwicklung in den allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufen I und II am Beispiel Nordrhein-Westfalens. Quelle: https://www.telekom-stiftung.de/sites/default/files/files/Klemm-Studie-Ergebnisbericht.pdf
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Antje Valentin: 9.9] OT Hendrik Schmitz-Pfitzner (Schüler): Musikmachen ist auch deshalb etwas Besonderes für mich, weil es entspannt und erfüllend sein kann und wie beim Sport auch den Kopf freimachen kann.
Kantorin Ute Springer: 9.9] Musik
Helge Lindh (SPD): Ich denke, dass die Realität der Amateurmusik viel schöner ist als der für viele Leute ziemlich sperrige und nicht besonders sexy klingende Name Amateur-Musik. MODERATION (Thilo Braun) …und mit diesen Stimmen von Menschen, die ihr in der heutigen Episode noch ausführlicher kennenlernen werdet, sage ich Hallo zu einer Podcastfolge, in der wir euch eine neue Studie des Deutschen Musikinformationszentrums vorstellen möchten zum Thema „Amateurmusizieren in Deutschland“. Mein Name ist Thilo Braun, herzlich Willkommen. „Das sind doch Amateure!“ – wer so etwas sagt, rümpft rhetorisch die Nase über eine als mangelhaft oder stümperhaft ausgeführte Arbeit. Dabei bedeutet der Begriff „Amateur“ in seiner Wortherkunft eigentlich etwas sehr Schönes: Das lateinische „amator“ bedeutet nämlich „Liebhaber“. Diese Liebe und Leidenschaft für den Gegenstand Musik wird uns immer wieder begegnen in dieser Episode – das Ergebnis ist dabei alles andere als stümperhaft, sondern oft richtig beeindruckend, wie wir gerade an der ersten Musik erleben konnten: Der Jazzchor Freiburg hat da gesungen. Musik Ob Seniorenchor oder Blaskappelle, Balalaika-Orchester, Schulband oder Handglockenchor – hier im Hintergrund hören wir den Handglockenchor Gotha – die Amateurmusik in Deutschland ist so vielfältig wie die Menschen selbst. Unglaubliche 16,3 Millionen Bundesbürgerinnen und Bürger machen Musik in ihrer Freizeit – das verrät eine neue Studie, die das Deutsche Musikinformationszentrum in Auftrag gegeben hat und die ich euch näher vorstellen möchte. Zunächst erklärt Stephan Schulmeistrat, Leiter des Musikinformationszentrums, was unter dem Begriff „Amateurmusik“ zu verstehen ist: Stefan Schulmeistrat: Es geht uns nicht um die Professionalität der Musikaufführung, sondern es geht schlichtweg um die Frage, verdienen Menschen mit dem Musizieren Geld? Oder machen sie es aus anderen Motiven, eben in ihrer Freizeit? Und Amateurmusizierende sind daher eine Gruppe, die Musik aus Spaß, als Hobby machen und damit kein Geld verdienen. Bis vor fünf Jahren wusste niemand, wie viele Menschen in Deutschland eigentlich in ihrer Freizeit Musik machen – deshalb hatte das Musikinformationszentrum 2020 erstmals eine bevölkerungsrepräsentative Studie durchgeführt, in Kooperation mit dem Institut für Demoskopie Allensbach. Die Forschenden haben persönliche Interviews mit Menschen geführt, in denen es über ihr eigenes Musizierverhalten oder das ihrer Kinder ging. Und so ist auch die neue Studie entstanden – es ist also eine Fortsetzungsstudie. Und da fällt ein großer Unterschied direkt auf: Stefan Schulmeistrat: Das Musikmachen boomt! Wir haben 16,3 Millionen Menschen in Deutschland, die in ihrer Freizeit aktuell Musik machen, nachgewiesen. Und das sind zwei Millionen mehr als noch vor vier Jahren. Also damit ein ganz klarer Aufwärtstrend. Wir vermuten, dass während oder nach der Pandemie viele Menschen zum Musizieren wieder ganz neu gefunden haben oder auch ihr Musizieren wieder aufgenommen haben. Das war ja eine Zeit, in der man viel zu Hause war und gerade auch für diese Beschäftigung wieder Interesse gezeigt hat. …dafür spricht auch, dass gerade die Altersgruppe der über 30-Jährigen heute mehr Musik macht als damals. Also Menschen, die in der Regel berufstätig sind. 16,3 Millionen Menschen – das ist etwa jede und jeder Fünfte in Deutschland. Eine stolze Zahl, findet auch die Generalsekretärin des Deutschen Musikrats, Antje Valentin: Antje Valentin: Mich erfüllt das mit großer Freude, dass es so viel mehr geworden sind. Das kann aus meiner Sicht gerne noch mehr werden und manchmal habe ich auch den Verdacht, es würden gerne viel mehr Menschen Musik machen. …wären da nicht so viele andere Verpflichtungen: Beruf, Freund, Familie, konkurrierende Hobbys. Zeit finden zum Musizieren, das ist insbesondere für Erwachsene eine Hürde: Stefan Schulmeistrat: Besonders die Kinder und die Jugendlichen sind aktiv. Hier ist es die Hälfte der Altersgruppe der 6- bis 15-Jährigen, die in ihrer Freizeit Musik machen. Wir sehen aber auch, wenn wir die Altersgruppen näher betrachten, dass es durchaus Brüche gibt im Lebensverlauf der Musizierenden. Der erste ist tatsächlich nach der Pubertät. Dort sehen wir, dass das Musizierverhalten schon etwas zurückgeht. Ein zweiter Einbruch findet dann beim Übergang ins Berufsleben statt. Dafür können wir aber sagen, dass alle Altersgruppen, die dann folgen, also die der 30-Jährigen und Älteren, relativ konstant musizieren. Da liegt der Anteil zwischen 16 und 17 Prozent, was schon relativ hoch ist. Wer bis 30 noch aktiv Musik macht – diese These ließe sich daraus ableiten – bleibt meistens lange dabei. Eine solche langjährige und vor allem leidenschaftliche Amateurmusikerin ist Jutta Mettig:
Jutta Mettig: 1.8] …das ist bei Jutta Mettig durchaus mehr als eine Floskel: Denn im Grunde füllt sie fast jede Sekunde neben der Arbeit mit unterschiedlichen Formen von Musik – etwa als Klarinettistin in einem traditionellen Blasmusikensemble, den „Moselaner Wingertsbläsern“, die wir hier hören können… Musik
Jutta Mettig Musik spielt in meinem Leben eigentlich schon immer eine Rolle, weil ich komme aus einem Musikeraushalt […] und damit ist die Musik mir als Kind schon in die Wiege gelegt worden: 28.4] Die Menge der Instrumente, die Jutta Mettig spielt, spricht für sich: Mit Klavier, Geige und Bratsche ging‘s los. Dann fand sie über einen Karnevalsverein zur Blasmusik, lernte erst Saxofon, später noch Klarinette. Außerdem hat sie eine Gesangsausbildung gemacht und singt in verschiedenen Chören. Ihre Woche ist entsprechend durchgetaktet: Jutta Mettig: Unter der Woche habe ich im Regelfall ein oder zwei Proben, kommt darauf an, welches Ensemble. Dann am Wochenende im Regelfall immer noch eine Zusatzprobe mit meinem kleinen Ensemble, was ich habe. Dann auf der anderen Seite noch Auftritte mit den bestehenden Ensembles, oder dass ich angerufen werde nach dem Prinzip ‚rent a clarinet‘: ‚Uns fehlt da ne Klarinette, kannst du mal aushelfen kommen‘“_ …dazu kommt: jeden Tag mindestens eine Stunde Üben, Klarinettenunterricht geben – und das alles neben ihrem Beruf als Betriebswirtin wohlbemerkt. Mittlerweile berät sie auch andere Amateurmusikensembles. So kann sie die langjährige Praxiserfahrung als Hobbymusikerin mit ihren beruflichen Fähigkeiten verbinden. Soviel Zeit und Kraft investiert Jutta Mettig natürlich nur, weil das Musikmachen ihr unendlich viel Sinn, Freude und Energie zurückgibt. Und das geht auch anderen Menschen so, wie die Studie verrät: Stefan Schulmeistrat: 98 Prozent der Menschen haben uns mitgeteilt, dass sie musizieren, weil sie Spaß daran haben. Und das ist natürlich auch kein verwunderliches Ergebnis. Jeder, der selbst musiziert, wird das unterstreichen können. Es sind aber auch viele andere Komponenten, die uns mitgeteilt wurden, dass Musik geistig und körperlich fit hält, dass es gegen Einsamkeit hilft, also auch hilft, in Gemeinschaft zu kommen. Es gibt eine Reihe anderer Studien, die den positiven Effekt des Musizierens nachweisen: Von der Gehirnaktivität über die Lebenszufriedenheit bis zum Sozialverhalten: Eine Studie der Universität Oldenburg fand etwa heraus, dass Musikmachen die Aggressivität bei Kindern senkt. Gemeinschaftserlebnisse und soziale Interaktion gibt es natürlich auch bei anderen Freizeitaktivitäten, etwa beim Sport. Eine Sache macht das Musizieren aber doch einzigartig, findet Antje Valentin: Antje Valentin: Bei der Musik kommt neben diesem ganzen eher feinmotorisch koordinierenden, körperlichen und dem sozialen Miteinander auch noch das Hören hinzu und dieses ‚in die Resonanzen gehen‘ im doppelten Wortsinn. Dass man natürlich rein analytisch die Klänge hört, um möglichst exakt aufeinander zu sein, rhythmisch und klanglich und so weiter. Aber dann gibt es noch eine andere Ebene der Resonanz, die ich ganz toll finde. Ich habe die Vermutung, die meisten Menschen, die wirklich gut miteinander musizieren… in einer Art inneren Übereinstimmung, erreicht man andere Ebenen des Miteinanders und das macht Musik in meinen Augen einzigartig. MUSIK KANTORIN Ute Springer: Mein Herz schlägt dafür, dass ich versuche, mit möglichst vielen Menschen aktiv ins Musizieren zu kommen, weil ich ganz sicher bin, also einerseits natürlich vom Arbeitgeber Kirche aus gedacht. Da kann ich meinen Glauben sehr gut ausdrücken oder ich kann Sachen fühlen oder erspüren, die ich nicht erspüren kann, wenn ich sie nur gesagt bekomme. Und andererseits, wenn ich selber etwas mache, bin ich natürlich viel stärker identifiziert mit der Gruppe um mich herum. Es ist alles dreimal so intensiv. Ute Springer ist Kantorin in der Versöhnungs-Kirchengemeinde Iserlohn und leitet dort unter anderem die Kinder- und Jugendkantorei, die hier so schön das Lied „Halte zu mir guter Gott“ singt. Musik Bei der Arbeit von Ute Springer wird deutlich, wie musikalische, soziale und emotionale Kommunikation zusammenhängen. KANTORIN Ute Springer: Die Menschen, die bei uns zum Singen kommen, die kommen, weil sie singen wollen. Aber sie kommen auch, weil sie in der Gruppe zusammen sein wollen. Also das ist ein ganz großer Impuls: Ich möchte in dieser Zusammensetzung mit den Menschen etwas erleben. Dabei kommt Kirchen als Musikort eine wichtige Funktion zu: Etwa ein Viertel der Amateurmusizierenden hat in der Studie des Deutschen Musikinformationszentrums angegeben, dort zu musizieren – unter Sängerinnen und Sängern ist es sogar fast die Hälfte aller Befragten, was auch die Rolle der Kirchen als Heimat von Chören unterstreicht. Die Kirche gehört damit zu den wichtigsten Musikorten, wobei das private Umfeld, also das Musizieren Zuhause oder im Freundes- und Familienkreis, weit vorne liegt. Dr Christiane Schenderlein (CDU): Ich persönlich gehe doch regelmäßig auch in den Gottesdienst. Und das ist dann immer der Moment, an dem man dann mal selber wieder auch etwas singen kann. Das ist dann sehr amateurhaft, aber es ist auf jeden Fall etwas, was einen auch Freude macht und mir persönlich Freude bereitet. … sagt Dr Christiane Schenderlein. Sie ist nicht nur Kirchgängerin, sondern auch Bundestagsabgeordnete und darüber hinaus kulturpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion. Sie spricht hier eine wesentliche Funktion der Kirchen an: Nämlich das Singen der Gemeinde im Gottesdienst oder in Kirchenchören. Der Wahlkreis von Christiane Schenderleins, Nordsachen, ist eher ländlich geprägt. Neben der Kirche ist da noch ein anderer Musikort wichtig: Dr Christiane Schenderlein (CDU): Volksfeste wären ohne Amateurmusik undenkbar, sei es durch Spielmannzüge, durch die Schalmeien, die bei uns sehr präsent sind, aber auch die Blasmusik und dazu auch der Gesang. Und da gibt es bei uns zum Beispiel die „Schenkenberger Blasmusik“, den Verein dazu. Das ist ein absoluter Garant für ein sehr stimmungsvolles Volksfest und das gehört hier in den ländlichen Raum. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass es diese Vielfalt gibt und freue mich auch, wenn wir da von der politischen Seite aus unterstützen können. Musik … so klingt es etwa, wenn sich der Blasmusikverein Schenkenberg selbst ein Geburtstagslied spielt – hier zur 50-Jahr-Feier im Bürgerhaus Delitzsch. Dass Musikangebote in der Kirche oder in städtischen Musikvereinen durch Kirchensteuer und öffentliche Gelder oft nur wenig oder nichts kosten, spielt insbesondere für Menschen mit wenig Einkommen eine Rolle. Das zeigt die Studie: Auf die Frage, wo Menschen in engeren Kontakt mit Musik gekommen sind, überwiegen bei Menschen mit höherem Einkommen privater Musikunterricht und öffentliche Musikschulen. Menschen mit weniger Geld bevorzugen dagegen Kirchen oder öffentliche Kulturzentren. Überhaupt legt die Studie deutliche Zusammenhänge offen zwischen dem sozioökonomischen Status – also Bildung und Einkommen – und dem Musizierverhalten, sagt Stephan Schulmeistrat vom Musikinformationszentrum: Stefan Schulmeistrat: Wir haben herausgefunden, dass bei den Erwachsenen nur halb so viele aus den unteren Schichten musizieren wie in den oberen sozialen Schichten. Das ist schon ein deutlicher Abstand. Bei den Kindern und Jugendlichen ist der Anteil in den höheren Schichten mit 60 Prozent ebenfalls überdurchschnittlich. Hier geben die Eltern auch besonders viel Geld für das Hobby ihrer Kinder aus, nämlich durchschnittlich 572 Euro. Stefan Schulmeistrat: Man muss aber auch dazu sagen, dass bei den Kindern und Jugendlichen genau diese Unterschiede schon sehr stark ausgeglichen werden. Wir haben ein Wert von ungefähr 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen aus unteren sozialen Schichten, die musizieren. Das sind genauso viele wie in der Mittelschicht... …und dieser hohe Anteil an Kindern und Jugendlichen ist dabei entscheidend dem Ort zu verdanken, der tagtäglich alle Kinder zusammenbringt, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Nämlich die Schule. Antje Valentin weist aber auch hier auf ein Problem hin: Antje Valentin: 40 Prozent… also es dürften eigentlich noch viel mehr sein, weil jeder geht ja mal zur Schule. Also es müssten eigentlich bei den jungen Menschen lieber 90 Prozent sein in dieser Altersgruppe. Das kann man jetzt auch so deuten, dass es eigentlich genau zeigt, wir haben einen solchen Musiklehrermangel an deutschen Schulen. Eine Studie der Telekom-Stiftung hat vergangenes Jahr erst wieder eine alarmierende Entwicklung bestätigt: Bis im Jahr 2035 könnten zwei von drei Stellen für Musiklehrkräfte unbesetzt bleiben – schon heute wird Musik häufig von fachfremdem Personal unterrichtet, insbesondere an Grund- und Hauptschulen. Das schränkt natürlich auch das Angebot jenseits des Unterrichts ein – also etwa die Anzahl und Qualität schuleigener Chöre oder Ensembles. Dazu kommt: Nicht jede Schule hat die finanziellen Möglichkeiten, eine entsprechende Infrastruktur zu stemmen: Vom Fachpersonal über Musikräume mit Noten- und Instrumentenarchiv bis zu Aufführungsorten. Handlungsbedarf sieht hier auch der kulturpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Helge Lindh: Helge Lindh (SPD): Auf Dauer kann es natürlich nicht wünschenswert sein, dass in Schulen etwa das von den sehr speziellen Bedingungen, wer ist gerade dort, wie ist die Einkommenslage der Elternschaft, ist das eine Schule, die gut ausgestattet ist, dass es davon abhängig ist, sondern wir flächendeckend systemisch den Anspruch, so sehe ich es wirklich, den Anspruch und das Recht darauf, sich künstlerisch zu betätigen, auch zu singen, Musik zu erleben, verwirklichen müssen. Und das hat extrem viel mit sozialer Partizipation, technisch formuliert, Teilhabe zu tun. Viel zu sehr ist das immer noch abhängig. von einzelnen in bestimmten Schulen, von Projekten, die mit manchen Schulen realisiert werden, mit anderen nicht. Das ist ein Umstand, mit dem wir absolut nicht zufrieden sein können. Bildung in Deutschland ist Ländersache. Der Bund habe aber zumindest eine Teil-Verantwortung, sagt Helge Lindh: Helge Lindh (SPD): Daher werden alle aufgefordert, in so einer konzertierten Aktion für etwa auch Musikunterricht in Schulen, Bund, Länder, Kommunen sich zusammen zu tun. Das fände ich überaus dringlich. OT Hendrik Schmitz-Pfitzner (Schüler): Hallo, mein Name ist Hendrik Schmitz-Pfitzner. Ich bin 18 Jahre alt und mache gerade mein Abitur auf dem Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in Bonn. Ich würde sagen, Musik spielt für mich eine sehr sehr große Rolle. Eigentlich höre ich den ganzen Tag Musik, auf dem Fahrrad, beim Sport und auch unter der Dusche… Hendrik Schmitz-Pfitzner hört nicht nur Musik, er spielt auch selbst mit Leidenschaft am E-Bass – hier haben wir ihn gerade mit seiner Schul-Big-Band gehört. OT Hendrik Schmitz-Pfitzner (Schüler): Ich habe eigentlich mit der Gitarre angefangen und dann wollte ich mit 16 in die Big Band unserer Schule. Und weil es da schon so viele Gitarren gab und mein damaliger Lehrer Herr Schiller unbedingt einen E-Bass gesucht hat und Überzeugungsarbeit geleistet hat, hab ich mir einen Lehrer gesucht und bin auf E-Bass umgestiegen. Hendrik Schmitz-Pfitzners Beispiel zeigt, wie Musikangebote im besten Fall den Alltag von Schülern und Schule bereichern können. Etwa dreimal pro Jahr tritt die Big Band auf, etwa beim Abiball oder am Tag der offenen Tür – und sie ist da nicht das einzige Ensemble: OT Hendrik Schmitz-Pfitzner (Schüler): Es gibt ein großes Angebot: Wir haben zwei Big Bands und noch zwei Orchester und zudem noch zwei Chöre. Ich finde, sie spielt eine große Rolle, weil die Schule einem durch Ensembles die Möglichkeit gibt, ganz einfach ohne dass man sich etwas raussuchen muss, mit vielen anderen Musik zu machen. Hätte es dieses Angebot nicht gegeben, wäre ich vermutlich auch nicht so lange dabeigeblieben. Dieses „Dranbleiben“ an der Musik stellt dabei oft eine Herausforderung dar. Eingangs hat Stefan Schulmeistrat ja schon erwähnt, dass die Zahl der Amateurmusizierenden mit dem Alter abnimmt. Während bei Kindern und Jugendlichen noch die Hälfte musiziert, ist es bei Erwachsenen ab 30 nur noch jede und jeder Sechste. Umso wichtiger ist es, die Hürden während der Schulzeit gering zu halten. Das unterstreicht auch Christiane Schenderlein von der CDU: Dr Christiane Schenderlein (CDU): Auf jeden Fall ein kluger Ansatz ist, und das findet an verschiedenen Stellen eben auch statt, ist das Thema Ganztagsbetreuung. Ich weiß das aus Sachsen beispielsweise, dass es hier jetzt auch schon seit der letzten Legislaturperiode Initiativen gibt, diese Ganztagbetreuungen zu erweitern, zu verstetigen und das in Kooperation auch mit den Musikschulen zu machen. Das halte ich für wichtig, dass wir die Strukturen, die da sind, zusammenführen und ergänzen. Weil alles, was ein Stück weit in der Schule stattfindet, hilft ja auch, Hürden abzubauen. Antje Valentin vom Deutschen Musikrat unterstreicht in diesem Kontext auch Musikalisierungs-Angebote bereits für Kinder im Grundschulalter:
Antje Valentin: Siehe: "Jedem Kind ein Instrument und Singen und Tanzen" in NRW oder auch "Jedem Kind ein Instrument" in Hamburg und ähnliche Projekten bundesweit, die gar nicht aus dem Schulalltag und dem Curriculum der Schule stammen, sondern angedockt sind. Das ist die große Chance, Kinder zu erreichen. Und das finde ich schon großartig, dass wir ja wirklich über die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen inzwischen haben, die Musik machen. Das ist ein Spitzenwert. Auch der lässt sich bestimmt steigern, aber ich finde ihn schon mal ganz, ganz anständig. Wie die Förderung der Amateurmusik durch die neue Bundesregierung aus SPD und CDU konkret aussehen wird – für Jugendliche, Erwachsene oder auch ältere Menschen – das war zum Redaktionsschluss dieser Episode noch nicht endgültig geklärt – allerdings haben beide Parteien ihre Verantwortung und ihr Bekenntnis dazu ausgesprochen: Dr Christiane Schenderlein (CDU): [Ich] freue mich sehr, dass wir ja in dem Koalitionsvertrag, der nun gestern vorgestellt wurde, da ja auch einen klaren Bezug drinstehen haben. Amateurmusik ist explizit genannt und eben auch, dass es gezielt gestärkt werden soll. Musik „Sturm und Drang“ von Ansar Striepens heißt dieses Stück – hier gemeinsam interpretiert von Bundesjazzorchester und Bundesjugendorchester. Spitzenensembles wie diese beiden machen deutlich: Die Förderung der Amateurmusik ist auch für die professionelle Musikszene wichtig – hier wird schließlich der Grundstein gelegt, sich später beruflich mit Musik zu beschäftigen. OT Hendrik Schmitz-Pfitzner (Schüler): Ich finde, wenn man Musik macht, kriegt man auch ein ganz anderes Verständnis von der Musik. Ich persönlich achte jetzt beim Hören der Lieder, die ich auch privat höre, immer auf die Basslinie und freue mich jetzt immer, wenn der Bassist da coole Sachen spielt. Ein Musikstudium plant Hendrik Schmitz-Pfitzner zwar nicht – aber wer weiß: Vielleicht landet er am Ende ja doch noch in der Musikszene? Schließlich gibt es da auch jenseits künstlerischer Hauptfächer jede Menge spannender Berufe – wie uns auch diese Anekdote hier zeigt:
Lorenz Overbeck: 67.5] … und heute ist er Geschäftsführer beim Bundesmusikverband Chor und Orchester – Lorenz Overbeck habt ihr da gerade gehört. Als Amateurmusiker übrigens ein leidenschaftlicher Horn-Spieler. Was der BMCO als Verband genau macht, erklärt Lorenz Overbeck so: Lorenz Overbeck: Wir sind ein Spitzenverband von Bundesverbänden, die wiederum noch mal untergliedert sind in Landes- und teilweise Bezirks- und Kreisverbände, bevor dann der eigentliche Verein kommt, sozusagen der vor Ort die Musik macht. Wir sind kein Franchise-Unternehmen, wo alle uns kennen müssen und wissen müssen, wofür steht die Abkürzung BMCO, sondern wir arbeiten auf einer Metaebene. Wir sind der Dolmetscher gegenüber den EntscheiderInnen, die die Rahmenbedingungen für das Musikmachen schaffen. „Dolmetscher“ heißt etwa: Der BMCO vermittelt zwischen den Musikerinnen und Musikern an der Basis und etwa der Politik. Da geht es etwa um Arbeitsrechte oder Musik-Lizenzen, aber auch das leidliche Thema Bürokratie: Viele Vereine – da ist die Musik nicht alleine – ächzen nämlich unter Nachweis- und Buchführungspflichten. Lorenz Overbeck: …also Thema Datenschutz, Haftungsfragen, allein für einen Kuchenverkauf brauche ich inzwischen Allergenkennzeichnungen und sowas. Das ist alles auch richtig. Wir haben oft das Phänomen, dass wenn EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt werden, […] Vereine dann eins zu eins mit Unternehmen und DAX-Konzernen gesetzt werden. Und da fehlen uns manchmal die, ich sag mal, Bagatellgrenzen und Ausnahmebedingungen, die wir gerade für kleinere, nur ehrenamtlich arbeitende Vereine dann durchaus angemessen fänden. Das Problem-Bewusstsein hat die Politik mittlerweile erreicht: Der Koalitionsvertrag etwa sieht diverse Schritte zum Bürokratieabbau vor. Und auch bei der finanziellen Unterstützung der Amateurmusik gibt es positive Signale: So soll der Amateurmusikfonds als einer von acht Bundeskulturfonds bleiben und langfristig im Haushalt verankert werden. Und das ist eine tolle Sache, denn mit diesen gut fünf Millionen Euro jährlich unterstützt der BMCO im Auftrag der Bundesregierung seit 2023 Leuchtturmprojekte von Amateurmusik-Ensembles aus ganz Deutschland. Ein gefördertes Projekt ist etwa der „Singbus“ der Deutschen Chorjugend. Lorenz Overbeck erklärt, was ihn auszeichnet:
Lorenz Overbeck: Man kann sich das vorstellen wie so ein kleiner Truck, der mit einer ausfahrbaren Bühne dann ankommt, vor Ort irgendwo im flachen Land ein Open-Air-Konzert macht, mit einem Bildungskonzert, mit einer Klangdusche, wo Kinder reingehen können und sich stimmlich ausprobieren können, wo gleichzeitig auch in Gesprächspanels mit lokalen EntscheiderInnen überlegt wird: Wie können wir denn hier vor Ort die Situation für die Kinder und Jugendlichen verbessern, mit dem Ziel, dass nach Verlassen des Singbusses sozusagen genug Energie verbleibt, um ein Kinderchor vor Ort zu gründen. Musik Darin OT Kind: „vorm Auftritt hab ich schon etwas Angst. Aber wenn man auf der Bühne steht, geht die Zeit schnell rum und macht auch sehr viel Spaß.
...: 25.5] Andere geförderte Projekte waren etwa das Musikvermittlungs-Format der Musikkappelle Rust, die unter dem Titel „Krawall im Zauberwald“ humorvoll und niederschwellig Kinder mit Instrumenten vertraut macht. Oder das Würzburger Projekt „The Peacemakers“, in dem mehrere Generationen ein multimediales Chorkonzert inszeniert haben. Neben der Förderung und Sichtbarmachung solcher Leuchtturmprojekte, geht es beim Amateurmusikfonds aber auch um Wissenstransfer, etwa durch Workshops und Seminare: Lorenz Overbeck: Wir haben kleine Beispiele, wo jemand gesagt hat: Wir brauchen einen Coach, der uns berät, wie wir unseren Verein weiterentwickeln sollen. Wir haben Mitgliederschwund, wir wissen nicht genau, wie wir damit umgehen sollen. Wie Können wir überhaupt mit dem Thema Digitalisierung umgehen, sind wir noch zeitgemäß in der Ansprache? Brauchen wir eine Webseite? Als Ergänzung dazu hat der BMCO die Website frag-amu.de ins Leben gerufen. Hier finden Ensembles und Chöre Hilfe zu vielen wichtigen Themen: Von rechtlichen Fragen über Nachwuchsarbeit bis zum Thema Inklusion. Schaut gerne selbst mal rein, einen Link dazu findet ihr in den Shownotes. Musik …kollektive Resonanz auf zentralasiatischen Zupfinstrumenten: Hier spielt das Balalaika-Orchester Druschba bei seinem Auftritt beim Deutschen Orchesterwettbewerb 2021, dem wohl größten und ebenfalls vom Deutschen Musikrat getragenen Amateurwettbewerb. der alle 4 Jahre stattfindet. Helge Lindh (SPD): Musik hat ja diese subversive Kraft im Positiven, dass sie auch bestimmte Barrieren durchbricht und unterläuft. Und in einer Gesellschaft, in der es wirklich mühsam geworden ist, Leute miteinander ins Gespräch zu bringen, plus Zeitknappheit, plus große Kontroversen, Zerwürfnisse, Frustration, ist Musik etwas, was wirklich da so ein Playing-Field miteinander schafft, was anderen Formen, anderen sprachlichen Formen oder anderen Formen der Begegnung so nicht gelingt. Helge Lindh von der SPD bringt hier noch einmal auf den Punkt, was Musik für uns als Gesellschaft und unser demokratisches Miteinander so wertvoll macht. Übrigens: Mehr als ein Drittel aller Amateurmusizierenden tritt nämlich laut Studie mindestens gelegentlich für gemeinnützige Zwecke auf, etwa bei Benefizkonzerten. Auch dieser Wert sollte uns etwas wert sein, finde ich. Das Potenzial des aktiven Musizierens ist dabei noch nicht ausgeschöpft: Weder bei der Jugend, noch bei älteren Generationen, wie diese schöne Geschichte verdeutlich:
Antje Valentin: Ich kenne ein wunderbares Beispiel aus der Musikgeragogik, also das Musizieren mit wirklich älteren, betagten Menschen, im Sinne von: ‚Es ist niemals zu spät auch einzusteigen.‘Ein Kollege aus Bielefeld hat da mal einen Kurs gegeben für Ukulele. Eine Seniorin kam dann eines Tages in den Kurs und sagte, also das hätte ihr wirklich weh, das zu spielen, das Instrument, sie hätte inzwischen Schmerzen. Und als der Kursleiter fragte, wie viel sie denn so übe, dann meinte sie: ‚So sechs bis acht Stunden täglich.‘ (lacht) Und das zeigt, was da für ein Feuer entfacht worden ist! Vom Wiegenlied bis zum Sterbebett kann Musik Menschen Sinn, Hoffnung und Freude schenken. Dass schon heute 16,3 Millionen Menschen in ihrer Freizeit musizieren, ist ein Grund zur Freude – und Ansporn, das Feuer mit gemeinsamer Kraft weiter zu entfachen. Wer weiß, vielleicht sind es in vier Jahren ja schon 20 Millionen oder mehr? Ich würde mich jedenfalls sehr darüber freuen – und wünsche der Amateurmusik in ihrer Vielfalt alles Gute. Musik Ermöglicht wurde die Studie des Deutschen Musikinformationszentrums übrigens durch den Amateurmusikfonds aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie vom Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration des Landes Rheinland-Pfalz. Dafür ein herzliches Dankeschön! Wenn ihr die ganze Studie noch einmal in ganzer Länge lesen wollt: auf dem Internetportal des Musikinformatonszentrums unter miz.org findet ihr sie zum Download. Außerdem möchte ich herzlich danken für die großzügige Unterstützung von Hal Leonard für diese Podcast-Folge. Und: Ein Danke auch an alle Menschen, die mit mir gesprochen haben und diese Folge durch ihre Geschichten, Gedanken und musikalischen Impulse bereichert haben. Und schließlich: Danke an alle, die uns hier Zuhören: Gebt uns doch gerne ein Feedback über die Social Media Kanäle wie es euch gefallen hat, schreibt eure eigenen Erfahrungen oder abonniert unseren Feed – dann kriegt ihr auch künftig neue Studien zum spannenden Feld Musik und Gesellschaft in eure Timlines gespült. Mein Name ist Thilo Braun – Ciao!
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