Folge 18: Bujazzo - Irgendwo auf der Welt....

Shownotes

»Irgendwo auf der Welt… gibt’s ein kleines bisschen Glück.« Ein Chanson, das fast ein Jahrhundert alt ist – und doch: Die Zeile berührt noch heute. Warum? Wir gehen hier auf eine Reise durch Klänge, Geschichte und die Fragen, die bleiben. In seinem aktuellen Programm beschäftigt sich das Bujazzo mit der Musik aus den Entschädigungsakten verfolgter Musikschaffender im Nationalsozialismus. Was bewegt junge Musikerinnen und Musiker im Jahr 2025 dazu, sich diesem Thema zu widmen und genau hier anzusetzen.

Musik: »Irgendwo auf der Welt…« Konzertaufnahme aus Dessau vom 15. März 2025, Teil 1:

  • Aufzählungs-TextTrack 01, »Schöne Frau du gehst an mir vorbei«, (Komp.: Fritz Spielmann / Arr.: Christian Elsässer), von 4’53’’ bis 5’17’’
  • Aufzählungs-TextTrack 02, »While My Lady Sleeps«, (Komp.: Bronislav Kaper / Arr.: Theresia Philipp) von 22’06’’ bis 22’39’’
  • Aufzählungs-TextTrack 03, »Dir möchte ich mich gerne anvertrauen«, (Komp.: Kurt Lewinnek / Arr.: Johannes Lauer), von 35’19’’ bis 35’37’’

Konzertaufnahme aus Trossingen vom 15. März 2025, Teil 2:

  • Aufzählungs-TextTrack 03, »Warum bist auch Du wie die anderen«, (Komp.: Kurt Lewinnek / Arr.: Christian Elsässer), von 12’08’’ bis 12’24’’

**Konzertaufnahme aus Dessau vom 15. März 2025, Teil 2: **

  • Aufzählungs-TextTrack 05, »Liebling mein Herz lässt Dich grüßen«, (Komp.: Werner Richard Heymann / Arr.: Fabia Mantwill), von 36’46’’ bis 37’05’’

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Transkript: Bujazzo – Irgendwo auf der Welt …

SS: Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück. Ein Chanson, das fast ein Jahrhundert alt ist und doch die Zeile berührt noch heute. Warum? Wir gehen hier auf eine Reise durch Klänge, Geschichte und die Fragen, die bleiben. In seinem aktuellen Programm beschäftigt sich das Bujazzo mit der Musik aus den Entschädigungsakten verfolgter Musikschaffender im Nationalsozialismus. Was bewegt junge Musikerinnen und Musiker im Jahr 2025 dazu, sich diesem Thema zu widmen und genau hier anzusetzen? Ich bin Sarah Seidel (SS) und habe bei einem Bujazzo-Konzert im Rahmen der Internationalen Jazzwoche Burghausen im März 2025 Antworten bekommen - von Nils Klein, einem der beiden künstlerischen Leiter des Bujazzo, vom Projektmanager Henning Vetter und von der jungen Tenor- Saxophonistin Estelle Dupont. Schöne Frau, du gehst an mir vorbei, von Fritz Spielmann, arrangiert für das Bujazzo von Christian Elsässer. Noch einer dieser knapp 100 Jahre alten Songs, die man im Programm des Orchesters hören kann. Die Vorfreude auf das Konzert im Stadtsaal von Burghausen war den jungen Bujazzo-Musikern deutlich anzusehen. So auch Estelle Dupont (ED)

ED: Ich freue mich vor allem darauf, dass wir mit dem Bujazzo, also mit dem Bundesjazzorchester, in Burghausen, auf dem legendären Jazzfestival spielen dürfen. Wir sind eben schon durch die Stadt gelaufen und da ist ein „Walk of Fame“ für Jazzmusiker und waren so erstaunt, wer hier schon alles gespielt hat und jetzt dürfen wir auf der Bühne stehen.

SS: Im Pflaster des „Walk of Fame“ in der Altstadt von Burghausen findet man Bronzeplatten mit den Lebensdaten und Signaturen etlicher US-Jazz-Legenden. Etwas weniger vertreten: die europäische Jazz-Prominenz. Der Gedanke an die Festivalbühne im Stadtsaal von Burghausen hat die Stimmung bei den jungen Musikerinnen und Musikern des Bujazzo deutlich gehoben. Obwohl Irgendwo auf der Welt, das ist kein banales Thema, im Gegenteil. Dazu Nils Klein (NK), einer der beiden künstlerischen Leiter des Bujazzo, am Nachmittag vor dem Konzert.

NK: Ja, das Programm, was wir spielen, heißt Irgendwo auf der Welt, benannt nach dem berühmten Lied, das wir auch spielen, heute in einer besonderen Version. Und das große Thema des Deutschen Musikrats in diesem Jahr ist ja Demokratie. Und wie wir alle wissen, ist es ein - auch gerade heutzutage wieder - ein sehr aktuelles Thema. Und wir beschäftigen uns damit, Musik aus den 20er und 30er Jahren zu spielen, von Komponisten, die im Naziregime verfolgt wurden. Das sind Komponisten der damaligen, ja Unterhaltungs- und Filmmusik. Friedrich Holländer, Fritz Spielmann, Werner Richard Heimann, Kurt Lewinek, Bronislaw Kaper auch. Und das Besondere daran ist, dass die - nach dem Krieg - die Bundesrepublik in einem relativ einzigartigen bürokratischen Verfahren eben personalisierte Anträge auf Entschädigungen zugelassen hat. Und diese Künstler haben dort eben Anträge auf Entschädigungen gestellt, und wir haben eine Kooperation eben mit der UDK und der dort ansässigen Forschungsstelle für Exil und Nachkriegskultur und der Wissenschaftlerin Dörte Schmidt (dort). Und die haben eben Zugriff auf diese Entschädigungsakten und darauf basierend beschäftigen wir uns eben mit diesen Stücken. Und möchten eben gleichzeitig damit auch zeigen, dass diese Musik eben aus der Mitte der Gesellschaft kam, dass eben jüdische Komponisten in den 20er/30er Jahren ganz normal Tag der Alltagskultur in Deutschland waren, diese Musik mitgeprägt haben und versuchen (uns) eben auf diese Art und Weise, diese Diversität dieser Kultur abzubilden.

SS: Die populärsten dieser Lieder wurden gesungen von Diven wie Zara Leander oder Marlene Dietrich.

NK: Natürlich, es gibt es bestimmte Lieder, die eben sehr bekannt waren und danach auch irgendwie sozusagen immer noch einen bestimmten Bekanntheitsgrad hatten. Aber eben auch andere Komponisten, die jetzt nicht so bekannt waren, wie zum Beispiel Kurt Levinek. Wo einfach dann anhand dieser Akte - und auch anhand dieses Materials, was überliefert ist - sozusagen dieses bürokratischen Prozesses nachvollziehbar ist, wie sehr eben sozusagen jemand, der gerade im Begriff war, eine richtig große Karriere in diesem Bereich zu machen, je unterbrochen wurde und dann sozusagen nach dem Krieg, bei seiner Rückkehr nach Deutschland einfach am Existenzminimum versucht hat, irgendwie wieder Fuß zu fassen, als Komponist, als Musiker und so.

SS: Ein gesellschaftlich relevantes Thema, das nun von den Musikerinnen und Musikern präsentiert wird. Die meisten von ihnen sind Anfang 20.

Musik

Um die 100 Jahre sind die Kompositionen alt, die das Bujazzo hier spielt. Nicht unbedingt Musik, die heute zum Alltag junger Menschen gehört, und dennoch wird sie mit Verve und Ambition gespielt. Der künstlerische Leiter des Bujazzo, Professor Nils Klein, kuratiert das Projekt mit den Musikwissenschaftler:innen Professor Dr. Dörte Schmidt und Professor Dr. Matthias Pasdzierny. Projektmanager Henning Vetter arbeitet Hand in Hand mit Nils Klein, der sich im November nach 13 Jahren Zusammenarbeit verabschiedet und - jetzt neu - mit Theresia Philipp in ihrer ersten Saison beim Bujazzo. Ebenso dabei ist Anke Steinbeck (AS). Sie ist mit der künstlerischen Planung für das Bujazzo beim Deutschen Musikrat in Bonn betreut. Henning Vetter (HV):

HV: Wir machen uns darüber Gedanken. Welche… welche Angebote können wir den Musiker:innen machen, die wir fördern. Das ist ja zum einen ein künstlerisches Projekt, auf der anderen Seite ist es auch ein pädagogisches Projekt und ein Förderprojekt. Wir fahren dreimal im Jahr auf Arbeitsphase und da versuchen wir nicht nur künstlerisch zu arbeiten, sondern eben auch pädagogisch und Workshops anzubieten. Und ansonsten geht es natürlich darum, wenn wir uns mit unseren künstlerischen Leitungen austauschen und mit Anke als Dramaturgin quasi, wie ist die langfristige Ausrichtung des Bujazzo und wie ist es kurzfristig, wenn ein Projekt ansteht. Wie wird das umgesetzt. Und im Prinzip sind wir im Projektbüro dann dafür zuständig, dass die Ideen dann Realität werden. Zum Beispiel Irgendwo auf der Welt ist entstanden mit meinem Co-Projektleiter Dominik Seidler. Der hat mit Dörte Schmidt von der Universität der Künste in Berlin, mit denen wir kooperieren, für dieses Projekt, die haben diese Idee zusammen entworfen. Und jetzt haben wir überlegt, welche Stücke suchen wir raus. Wir haben uns die Akten angeschaut, wir haben Musiker:innen gesucht, die dann die Stücke arrangieren für das Orchester. Und dann… Ansonsten unterhalten wir uns mit unseren Leitungen. Also im Sommer ist Theresia Philipp dran, das ist quasi ihr erstes Projekt als künstlerische Leitung vom Bundesjazzorchester. Das heißt, das ist so ein bisschen ihr Statement, aber auch mit ihrer Geschichte als Kölner Musikerin, aber mit Wurzeln in Ostdeutschland, und das bei 35 Jahre Wiedervereinigung, dass man das zusammenbringt. Und dass man immer so kleine Themen findet, die man setzen kann, dass man nicht nur einfach Musik für die Musik macht, sondern dass man so versucht, einen Anschluss zu finden an die Gesellschaft und zu zeigen: wir bewegen uns nicht in unserer kleinen Bubble, sondern wir tragen etwas bei zur Gesellschaft.

Musik

SS: Die Musik der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts - zeitlich sehr weit weg von Estelle Dupont und den anderen Mitgliedern des Bujazzo. Aber das Thema des Programms hat dennoch bei den Jungen verfangen.

ED: Also wir hatten ja eine sehr genaue Einführung von der UDK Berlin, was die Geschichte der ganzen Stücke angeht. Also es geht ja um verfolgte Musiker aus der NS Zeit und dadurch konnten wir eben auch einen ganz persönlichen Bezug dazu herstellen, da wir die persönlichen Geschichten der Musiker gehört haben. Außerdem wurden die Arrangements von modernen - also ich sag jetzt mal modernen - Musikern geschrieben, wie zum Beispiel auch unsere neue künstlerische Leitung Theresia Philipp. Also die hat auch 2 Arrangements zu dem Programm beigetragen, weshalb das dennoch sehr modern klingt.

Gesang

SS: Auch Sängerinnen und Sänger sind Teil dieses Programms. Henning Vetter:

HV: Dadurch, dass es Schlager, viele Schlager sind, ist es natürlich sehr…. Da geht es natürlich viel um… um Text, um Melodie und deswegen haben wir auch unser Vokalensemble dabei, was ja so ein wichtiger Bestandteil vom Bundesjazzorchester ist. Ich glaube Ansgar Striepens hat mal den Namen „Bujazzo-Voices“ dem Ganzen gegeben. Das klingt eigentlich ganz schön. Und wir sind sehr froh, dass wir die dabeihaben! Die bringen immer eine sehr schöne Farbe mit in den… in den Klang rein. Und für so ein Schlagerprogramm ist es natürlich nochmal schöner, wenn man dann auch die Texte singen kann und dann können die Leute so ein bisschen mit Ohrwürmern auch rausgehen, was ja ein bisschen auch unser Ziel ist.

SS: Irgendwo auf der Welt - ein Stück Erinnerungskultur und ein Projekt, zu dem es begleitend Information und Musik gibt. Außerdem eine entsprechende Einleitung im Konzert und Texte, die vorgelesen werden. Darüber hinaus liegen im Bujazzo-Konzert Postkarten mit einem QR-Code aus. Wenn man den scannt, kann man sich die einzelnen Songs des Programms in Versionen des Bujazzo anhören. Das sind Versionen ganz nah dran am Original und ganz anders als die neu für das Ensemble arrangierten Songs. Für Henning Vetter ein berührendes Erlebnis, das Bujazzo mit dieser Musik zu erleben.

HV: Bis jetzt war es so, dass… Bei den Konzerten hab ich immer sehr viele Emotionen dabei gefühlt. Die Texte von den Schlagern sind sehr humorvoll, die sind sehr charmant, manchmal auch ein bisschen aus der Zeit gefallen. Aber, die Texte zusammen mit der Geschichte und die Texte zusammen mit den Akten und mit dem Kontext des Ganzen, die bringen einen zum Lachen, die… Muss man sagen, ist manchmal auch herausfordernd, sich das anzuhören. Und wenn man weiß, was diese Musik bedeutet und was sie, warum wir sie überhaupt aufführen und warum wir es so… so rausstellen, dass es so lebendige Musik für uns immer noch ist, deswegen erhoffe ich mir von den Abenden mit dem Programm, dass das Publikum ähnliche Freude daran hat wie ich.

SS: Das wäre ein schönes Schlusswort von Henning Vetter wenn da nicht die Jazz-Jugend wäre, die sich hier noch einmal zu Wort meldet. Stellvertretend für alle zeigt Estelle Dupont, die junge Saxophonistin aus dem Bujazzo, dass die Fackel des Jazz in der Hand der neuen Generation weiter brennt.

ED: Also, es ist einfach eine super schöne Band. Wir hatten in dieser ganzen Arbeitsphase kein einziges Mal Streit, was bei fast 40 Leuten wirklich schon fast ein Wunder ist. Und ich denke, wir sind alle extrem stolz, das Bujazzo zu vertreten zu dürfen, beispielsweise auch im Deutschen Musikrat den Jazz zu zeigen und die neue Generation an Jazzmusikern eben darzustellen. Also wir sind uns dieser Verantwortung bewusst. Auch, dass wir jetzt natürlich eine Vorbildfunktion haben, aber ich denke, wir freuen uns da sehr drüber.

Musik

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