Folge 14: Musik und Demenz

Shownotes

• Bundesinitiative [„Musik und Demenz“] • [Deutsche Gesellschaft für Musiktherapie] • [Deutsche Gesellschaft für Musikgeragogik] • [Bundesmusikverband Chor & Orchester] • [Netzwerk Nationale Demenzstrategie] • [https://www.musikrat.de/musikpolitik/musik-und-demenz] • Projektbericht: Potenzial von musikbasierten Angeboten für Menschen mit Demenz (Bundesinitiative u.a.) • [Podcast „Rund um Gesund“ #11] • [Chor-Netzwerk DG Musikgeragogik] • [BMCO-Projekt „Länger fit durch Musik“] • [https://konfetti-im-kopf.de/ ] • https://www.deutsche-alzheimer.de/

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Podcast Folge 11: Musik und Demenz | Autor: Thilo Braun (TB)

Gemeinsam für Musik - der Podcast des Deutschen Musikrates

Thilo Braun: Trommel und Tamburin vibrieren. Impuls der Musik, eine Frau streicht zärtlich über die Seiten eines Konzertflügels, ein Cellist spendet warme Melodien dazu. Mehrere Menschen sind hier zu einem Klangworkshop zusammengekommen in der Medical School Hamburg. Und man kann die kreative Neugier, die Wachheit und die Freude an dieser kleinen Jamsession förmlich spüren. Was die Klänge allein nicht verraten, hier musizieren 10 Frauen und Männer mit Demenz. Es ist ein Workshop der Initiative „Konfetti im Kopf“, angeleitet von Jan Sonntag, dem Gast meiner heutigen Podcast Folge. Musik und Demenz, das ist das Thema heute. Mein Name ist Thilo Braun, ich freue mich, dass ich diese Episode moderieren darf und möchte jetzt als Erstes ein herzliches Willkommen sagen an Jan Sonntag. Schön, dass du heute dabei bist.

Jan Sonntag: Ja, das freut mich auch hier zu sein. Schönen Guten Tag.

Thilo Braun: Jan, Du bist promovierter Musiktherapeut und Professor für Musiktherapie an der Medical School in Hamburg. Und du hast schon diverse Studien, diverse Publikationen zum Thema Musik und Demenz veröffentlicht. Du beschäftigst dich seit 25 Jahren schon mit diesem Thema und ich hatte den Eindruck, dass du da wirklich ein Herzensthema für dich gefunden hast. Was hat denn diese Leidenschaft geweckt bei dir?

Jan Sonntag: Also ich muss gestehen, ich bin da anfangs eher so reingeraten. Ich war weder durch mein musiktherapeutisches Studium, noch durch andere Vorbereitung wirklich gebildet oder Vorerfahren für diesen Bereich. Das war eher die Suche nach Anstellung und Erwerbsarbeit in meiner Wahlheimat Hamburg, die mich in diesen Bereich geführt hat. Und dann wäre das vielleicht ein bisschen kitschig ausgesprochen, wenn ich sagen würde, dann war das Liebe auf den ersten Blick. Aber ich habe dann innerhalb der ersten Wochen meiner Tätigkeit in einem Hamburger Pflegeheim tatsächlich gemerkt, wie sehr das passt, dass ich für betagte Menschen mit Demenz tätig bin und wieviel Freude ich daran haben kann und wieviel unmittelbares Feedback zu meiner musiktherapeutischen Wirksamkeit ich da auch haben kann.

TB: Also es hört sich so an, als ob du selber ganz überrascht warst wieviel Musik anstiften kann bei Menschen mit Demenz?

JS: Ja, also ich hatte vorher eben noch keine Patientinnengruppe kennengelernt, die ähnlich unmittelbar positiv reagiert oder die die musiktherapeutische Wirkung ähnlich unmittelbar wirklich auch spiegelt.

TB: Wir werden in diesem Podcast auch einige Klangbeispiele, so ein paar Situationen noch hören, wie du arbeitest oder was deine Musik oder die Musik an sich in deinen Therapiesessions anstiften kann. Kurz noch einen kleinen Satz zu diesem Projekt, wo wir den Einspieler gerade am Anfang gehört haben. „Konfetti im Kopf“- erstmal ein ganz toller Name finde ich – ist eben ne Hamburger Initiative, die ja Begegnungsorte im weitesten Sinne etablieren möchte, herstellen möchte, um Menschen mit Demenz und Menschen ohne Demenz zusammenzubringen. Sei es durch ein Kaffeetrinken oder Geschichten erzählen oder eben auch durch gemeinsames Musizieren. Es geht also darum, dass die Ängste im Umgang mit dem Thema auch abgebaut werden und ein Miteinander hergestellt wird, in dem Fall über Musik, richtig?

JS: Ja, also die Initiative „Konfetti im Kopf“, gegründet von dem Demenz Fotografen Michael Hagedorn, ist ein Projekt, an dem ich seit vielen Jahren mitarbeite, weil es ähnliche Werte vertritt und einen ähnlichen Blick auf Menschen mit Demenz hat: hinsichtlich von Teilhabe, sie in der Gesellschaft halten, Menschen mit Demenz mitten in der Gesellschaft begleiten, ihnen Räume zu schaffen, die ihren veränderten Erlebnis- und Wahrnehmungsfähigkeiten auch entsprechen. Und damit auch ein bisschen das gesellschaftliche Bild korrigieren helfen von Demenz, also einem Horrorszenario bei „Konfetti im Kopf“ und in der Musiktherapie bewegen wir uns wirklich ganz entschieden auf der Ressourcenseite des Lebens. Also wir gucken nicht, was da fehlt, da kann man bei Demenz und bei alten Menschen sehr viel aufzählen, was da fehlt oder was da verloren gegangen ist. Wir gucken, was da ist! Und wir gucken auch, was vielleicht dazu gekommen ist. Also nicht nur, dass wir nach den verbleibenden Kompetenzen forschen, sondern wir haben auch einen Blick dafür, was vielleicht hohes Alter und Demenz noch an Zugewinn, tatsächlich an Fähigkeiten auf ganz anderen Ebenen, oftmals auf ganz ursprünglich, menschlich berührenden Ebenen mit sich bringen kann. Und das ist kein romantisches Blabla, das kann man wirklich beschreiben und beobachten und erleben.

TB: … und es spüren, wir werden das auch in dieser Folge noch erspüren. Es geht also um die Suche nach Potenzialen oder um das Freischaufeln von Potenzialen, das ist ein Anliegen, was auch den Deutschen Musikrat beschäftigt. Der Deutsche Musikrat möchte eben ein Bewusstsein schaffen, was für Potenziale es da gibt, was Musik angeht, was Musiktherapie angeht für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Und das tut der Deutsche Musikrat einerseits als politischer Akteur, zum Beispiel als Mitglied der nationalen Demenzstrategie und der Bundesinitiative Musik und Demenz. Darüber sprechen wir nachher noch, du hast sie ja auch als Gründungsmitglied entscheidend vorangetrieben, Jan. Es geht aber auch darum, was jede und jeder Einzelne tun kann. Und da versteht sich der Deutsche Musikrat natürlich auch als ein Netzwerk und ein Vermittler. Das unterstreicht hier im O-Ton auch noch einmal Antje Valentin, sie ist Generalsekretärin des Deutschen Musikrats.

Antje Valentin: Dabei macht es natürlich auch Sinn, die ganzen Musikszenen, mit denen wir verbunden sind, anzusprechen und auch zu schauen, wie können direkt vor Ort Musikerinnen und Musiker aktiviert werden für Menschen, die von Demenz betroffen sind, Angebote zu erfinden.

TB: Ja, jeder. Jeder Einzelne kann Angebote erfinden. Wie das geht, da kriegen wir nachher noch ein paar Beispiele präsentiert. Jetzt würde ich aber ganz gerne zunächst mal deinen Alltag, Jan, als Musiktherapeut kennenlernen. Und dazu haben wir ein kleines Audio vorbereitet, wo wir dich im Gespräch mit einem Klienten Gerd hören. Gerd ist demenziell erkrankt und ihr sitzt gemeinsam vor seinem Kalender und das ist für Gerd eine Tätigkeit, die gar nicht so einfach ist, wie wir hier hören können.

Audio: JS: 23.

Gerd: Ja.

JS: Montag wieder

Gerd: oh weia

JS: guck

Gerd: owei ja

JS: hier, guck da.

Gerd: Montag. Das ist hier schon ach so, Montag. Ja, und wo finden, wo? Wofür ist das denn?

JS: Mhm. 10:30 Uhr.

Gerd: 10:30 Uhr kannst du schreiben gehen.

JS: Kannst du schreiben.

Gerd: Ja. kannst du-

JS: Versuch du mal.

Gerd: Nee, das ist schon dumm in meinem Kopf, ne? Aber du weißt das wieder.

TB: Ja, Jan, möchtest du was zu dieser Situation sagen, die bei mir zumindest so eine Beklommenheit auslöst über diesen Fakt, dass offensichtlich Gerd hier Schwierigkeiten hat, mit den Wochentagen umzugehen?

JS: Ja, Gerd hat auch Schwierigkeiten, überhaupt die Worte zu finden und zu verstehen, die wir so miteinander austauschen. Und er hat tatsächlich die Begriffe verloren. Also andere Situation: Wenn ich sage, „komm lass uns Gitarre spielen“, dann wiederholt er das Wort `Gitarre´ wie etwas, was ihm nichts sagt und später werden wir ja vielleicht noch erfahren, dass ihm die Gitarre durchaus noch was sagt. Also wirklich starke Defizite im Sprachvermögen, wenn man das so bezeichnen mag und überhaupt die Orientierung in den Wochentagen. Das ist für ihn und für mich dann eben unmittelbar auch ne ganz, ganz unangenehme Situation.

TB: Er sagt ja auch dumm in meinem Kopf. Also er realisiert, dass das irgendwie nicht mehr funktioniert und ist eigentlich ja mit seinem eigenen Scheitern in so einem Gespräch konfrontiert.

JS: Genau. Und mir ist das auch ganz unangenehm ihm gegenüber, ihn in diesen Situationen erleben zu müssen. Faktisch muss man sagen, dieser Papierkalender, den er dann immer mitgebracht hat in die Praxis, da stand am Ende dann nur noch ein Termin drin wöchentlich. Ja, also der war anfangs unserer Bekanntschaft noch gefüllt mit einigen Terminen, Sport hier, ein Freundestreffen dort und sowas, und gegen Ende war da einfach nur noch dieser eine verbleibende Termin „Musik Jan“, den wir dann immer wieder festgelegt haben und an dem wir so lange wie möglich festgehalten haben, natürlich auch mit einiger Anstrengung meinerseits, so, ja.

TB: Und genau das ist, glaube ich, der Grund, warum dieses Thema mit Angst so behaftet ist. Man hat solche Geschichten im Kopf und denkt sich, oje, wenn ich in so einem Zustand bin, dann hat mein Leben ja eigentlich überhaupt keine Qualität mehr. Was bleibt denn dann noch von dem, was mich als Mensch in meinem Leben ausmacht? Und jetzt kommen wir eben zu der Situation, was passiert, wenn Gerd dann seine Gitarre in die Hand nimmt und ihr gemeinsam Musik macht, denn da ist er auf einmal wie ausgewechselt.

Musik

Gerd: ja, das ist schon toll.

Musik

TB: Ja, Jan, das grenzt für mich fast schon an ein Wunder, dass dieselbe Person, die gerade noch Schwierigkeiten hatte, mit einem Begriff wie `Montag´ umzugehen auf einmal an der Gitarre, und das ist Gerd, der gerade gespielt hat, das muss man, glaube ich, dazu sagen, so virtuose Töne spielen kann. Wie ist es möglich, dieser Unterschied?

JS: Also das war jetzt bei ihm wirklich eine ganz ausgeprägte, gut erhaltene Fähigkeit, eben zu musizieren. Als langjähriger Gitarrist und auch Improvisationsmusiker, Musiker in vielen Genres unterwegs hat er da einfach vorgebaut sozusagen. Und das bleibt ihm dann auch noch ne Weile erhalten, in die Demenz hinein. Das nimmt auch ab, also es ist kein Wunder, es ist etwas was man beobachten, beschreiben und erklären kann. Also auch die komplexen musikalischen, koordinativen, motorischen Fähigkeiten und so, die nehmen auch ab mit der Zeit, er hat sich wirklich eigentlich sehr stark auf dieses eine Stück konzentriert in unseren Sessions so, ne. Aber verglichen mit dieser zum Beispiel sprachlichen Kompetenz, die ja sehr stark eingeschränkt ist bei ihm, ist es natürlich wirklich wunderbar, dass er noch musizieren kann, dass wir als gleichwertige Musikkollegen da miteinander jammen konnten. Ja, das ist ja n bisschen wie `ne Jam Session dann und wir haben auch wirklich dann die halbe Dreiviertelstunde unserer Begegnungen auch nicht viel anderes gemacht als einfach musiziert. Denn immer wenn ich dann mit ihm sprechen wollte, ging das natürlich nicht und dann flüchteten wir uns wieder in die Musik, weil da war heile Welt. Ja, und das merkt man dann auch sofort an seiner Mimik, an seiner Gestik, an seinem ganzen Erleben und Befinden.

TB: Er lacht ja auch sofort am Anfang. Also er spielt den Akkord und sofort hat man das Gefühl, er ist eben wie ausgewechselt. Das scheint also auch für ihn `ne Möglichkeit zu sein in dem Alltag, wo er wahrscheinlich ständig mit Scheitern konfrontiert ist, in einem Bereich sich zu bewahren oder in einem Bereich ja vielleicht sogar auszubauen, in dem Fall, wo er ja noch Herr seiner Sinne und seiner Fähigkeiten ist.

JS: Ja genau.

TB: Und ich meine, dass es auch medizinisch so ist, dass die Musik oder der Bereich des Gehirns, der Musik oder des Langzeitgedächtnis- Musik ist wohl weniger betroffen von demenziellen Erkrankungen, richtig?

JS: Genau. Und das liegt nicht daran, dass Musik einfach in einem Bereich ist, der jetzt besonders Fort Knox mäßig geschützt ist oder so, sondern dass Musik einfach sehr global im Gehirn vernetzt ist. Als eine komplexe Ansammlung von Fähigkeiten, die sich einfach untereinander in einem komplexen Netzwerk in höheren und niedrigeren Hirnregionen praktisch verdrahtet haben und somit praktisch nicht auch sofort betroffen sind, wenn in einer Hirnregion zum Beispiel im Sprachzentrum Einschränkungen dann entstehen. So, und das muss man sagen, und da möchte ich wirklich noch mal darauf eingehen, wir hatten jetzt hier einen Musiker, und da kann man natürlich als Hörer:in unseres Podcasts sofort sagen, `ja, aber es sind Musiker, gibt es ja nicht so viele.´ Ja, es geht auch um ganz alltägliche und laienhafte Musikfähigkeiten, wie das Gespür für die richtige Melodie bei einem Volkslied, was wir gemeinsam singen, um das wirklich alltagsnahe und gar nicht stark ausgebildete Miteinander zu singen oder zu klatschen. Der Mensch kann im Rhythmus klatschen oder so. Das sind zwar nicht so ausgeprägt differenzierte Fähigkeiten wie jetzt bei Gerd oder Berufsmusikern oder so, aber das sind musikalische Fähigkeiten, die bringen wir einfach mit, die tragen wir durch unser Leben und auch die - mit Blick auf die Produktion und mit Blick auf die Rezeption auf die Wahrnehmung – bleiben eben noch gut erhalten.

TB: Ja, das sind die verschiedenen Ebenen wie Musiktherapie da wirken kann. Also bei „Konfetti im Kopf“ haben wir ja erlebt, was es bedeutet, auch für Menschen, die vielleicht nicht die großen Virtuosen sind, einfach musikalisch sich ausdrücken zu können. Dann haben wir Gerd als jemand, der ein musikalisches Potential sein Leben lang angereichert hat, der darauf noch zugreifen kann, wenn andere Dinge nicht mehr gehen. Und dann gibt es ja noch die Ebene was passiert, wenn Menschen Musik hören. Und das ist auch eine kleine Situation, die wir einspielen können. Es gibt nämlich einen Ton, wo du Gitarre spielst und eine Klientin von dir reagiert einfach darauf und fängt an zu erzählen. Und ich glaube, ich lass das einfach mal hier laufen, denn es vermittelt die Wirkung, auch ohne dass man viele Worte dafür verlieren muss.

Audio:

Klientin erzählt: Heute kommst du wieder und spielst die schönsten Lieder. Jawoll. Jawoll. Die liebsten, die liebsten, die schönsten Lieder. Die musst du lieben. Dann kommen die Leute und kerschen dich auch einmal wie`s wie wir gemacht haben. …(Kauderwelsch)… Ich wollte zum Krahn. Zum Synchron. Und dann haben wir nämlich der oberen Winkel vorherrein und in die Ecke gesteckt. Und gesungen. Aber haben mich jetzt Jungen entdecken in der Kette da drin. Ja, dann schreiben wir da der Zickzack Ecke. Jedenfalls hab ich die Füße runtergelassen. Und dann kommen die Milchkasten gehollt. Du, mein Schatz, hast auch deine Sachen gemacht. Hast du so viel Geld dabei? Nein nein. Du weißt jetzt nicht mehr wer du bist. Das gefällt mir aber.

JS singt: Ich weiß nicht, wer ich bin.

Klientin: Bist du wieder böse

JS: Ich weiß nicht, wer ich bin.

Klientin: Ja. Komm, setz dich zu mir.

TB: Ja, Jan, hilf mir mal, diese Situation zu verstehen. Die Klientin, die denkt sich hier ja offensichtlich eine Fantasiegeschichte aus. Ich verstehe eigentlich überhaupt nicht, wenn ich ehrlich bin, was sie da erzählt, aber es berührt mich total, ihr dabei zuzuhören. Was passiert hier?

JS: Ja, also ich habe mich daran gewöhnt, dass ich teilweise mit Klient:innen arbeite, wo das Verstehen mir tatsächlich verschlossen bleibt. Also ich nenne das manchmal Therapie ohne Verstehen. Man denkt ja, wenn man an Psychotherapie denkt oder sowas, es geht zentral um das Verstehen, ja, von Lebensgeschichte, konflikthaften Zusammenhängen und so weiter. Hier betrachte ich die sprachliche Interaktion tatsächlich rein musikalisch und gebe mir wirklich nur in Ansätzen Mühe, das zu verstehen, sondern gucke einfach, dass ich ihren musikalischen Ausdruck musikalisch zur Seite stehe und sie auf einer empathischen, mitfühlenden Ebene sozusagen verstehe, aber nicht praktisch, was den faktischen Gehalt der Worte angeht. Also ein emotionales Verstehen in der Demenzarbeit, nennen wir das Validation. Also das für gültig Erklären von Gefühlen. Das ist richtiggehend ein Ansatz in der Kommunikation mit Menschen mit Demenz, ein Ansatz der Validation. Und ich nenne dies musikalische Validation. Also ich bin einfach in Echtzeit dabei und stütze und unterstütze und spiegele ihre Gefühle als, sage ich mal, relativ versierter Improvisationsmusiker. Und ich versuche einfach ihr zu vermitteln, `ich bin da, dieser Raum schafft Sicherheit und Geborgenheit, hier kannst du sein mit allem, was dich gerade bewegt`. Und das versuche ich praktisch von meiner Haltung her und aber eben auch von meiner Musizierpraxis her zu vermitteln so.

TB: Und das scheint bei ihr zu funktionieren. Also das resoniert ja auf beiden Seiten. Man merkt ja auch, wie sie dann so gewisse melancholische Töne einbaut in ihren Sprachflow, dann kommt wieder so ein kleiner Scherz. Den wir alle verstehen interessanterweise, obwohl wir ihn rein logisch nicht verstehen, aber es kommt ja bei uns als Menschen an, was dieser andere Mensch da gerade ausdrückt. Zur gesellschaftlichen Relevanz würde ich gern noch so `n paar Zahlen einwerfen. Also momentan ist es so, dass 1,8 Millionen Menschen in Deutschland bereits von demenziellen Erkrankungen betroffen sind. Und es gibt so Schätzungen, dass sich bis zum Jahr 2050 also in den nächsten 25 Jahren diese Zahl noch mal erhöhen wird auf etwa 2,8 Millionen. Also nochmal eine Million mehr. Ist also `ne ziemlich große Summe an Menschen, für die wir das richtige Setting schaffen können oder schaffen sollten auch. Und ich `hab hier ein Beispiel mitgebracht von einem Chor, der da versucht ein richtiges Setting zu finden. Dieser Chor heißt „Vergissmeinnicht“, er singt und kommt aus Neuenkirchen am Brand. Das ist ein Chor, in dem Menschen mit und ohne Demenz singen und angeleitet wird der Chor von der Musikgeragorin Doktor Kerstin Jaunich. Also eine Fachkraft, die darauf spezialisiert ist, Musik zu machen oder Musik beizubringen, Menschen älterer Generation, in dem Fall eben auch Menschen mit Demenz. Und dieser Chor wird in einer ganz tollen Podcast Folge des Podcasts „Rundum Gesund“ vorgestellt, ausführlich. Es ist `n Podcast der Bayerischen Staatsregierung, der sich mit verschiedenen Gesundheitsthemen beschäftigt und in manchen Folgen eben auch mit dem Thema Demenz. Und netterweise dürfen wir hier so `n kleinen Appetizer daraus vorspielen. Wir hören hier Kerstin Jaunich, also die Musikgeragorin, die sich mit der Gastgeberin Beate Strauß darüber unterhält, worum es eigentlich geht in diesem Chor, nämlich nicht darum, Menschen konkret jetzt etwas beizubringen wie ein Lied, sondern eher darum, bereits vorhandene Schätze aufzuspüren.

Kerstin Jaunich: Was kommt von den Demenzerkrankten selbst? Die bringen ja sehr viel mit. Also die Begeisterung für die Lieder, die Texte können die auswendig, manchmal auch noch weitere Stimmen, sodass es harmonisch wird, ganz automatisch. Und da einfach drauf, na ja, wie so `n Detektiv darauf zu warten, wann da von alleine was kommt, das ist das Schöne und das Wichtige und halt keinen Druck aufzubauen.

TB: Es ist dann in irgendeiner Art und Weise vergleichbar mit einem normalen Chor mit verschiedenen Stimmlagen und Noten ablesen und so weiter.

Kerstin Jaunich: Nein, überhaupt nicht. Noten verteile ich nicht, ich habe Liedzettel, also die Texte verteilt in Großdruck. Aber auch nur für die, die es wirklich möchten und brauchen. Einige lesen auch gar nicht mehr oder können es auch nicht sehen. Ja, ich warte einfach auf die Texte, die von selbst kommen und mehrstimmig, ja, wie gesagt, einige singen automatisch eine ihnen bekannte zweite Stimme. Ja, es passieren einfach Improvisationen manchmal. Die Leute sind halt sehr kreativ, das kommt bei denen aus dem Spaß heraus, aus der Freude heraus.

TB: Ja, und das erinnert mich jetzt auch ein bisschen an die Töne, die wir gerade aus deinem Musiktherapie-Setting gehört haben, Jan. Dieser kleine Ausschnitt aus dem Podcast „Rundum Gesund“ Folge 11 ist das. Ihr könnt die ganze Episode überall finden, wo es Podcasts gibt und wir werden das natürlich auch in den Shownotes verlinken. Am Ende des Podcasts kann man da auch noch 2 Betroffene hören. Eine Chorsängerin mit Demenz und eine ohne, die beiden sind Geschwister und erzählen sehr anschaulich und schön, was dieser Chor für sie bedeutet.Jan. Ich fand das Bild von Frau Jaunich ganz schön als detektivspiel. Also dass man sozusagen im Umgang mit Menschen, die anders kommunizieren als wir es normalerweise tun, auf die Suche gehen muss. Das ist doch auch recht ähnlich wie deine Arbeit im musiktherapeutischen Setting, oder?

JS: Ja, also es ist auch nicht erstaunlich, dass verschiedene Musikakteurinnen verschiedener Disziplinen, wie jetzt Kerstin mit der Musikgeragogik oder ich mit der Musiktherapie, da auf ähnliche Schlüsse kommen. Denn natürlich, die Menschen mit Demenz prägen ja auch unsere Auffassungen und unsere Methodik indem sie sich so verhalten wie sie sich verhalten. Und genau das Bild des Detektivs finde ich sehr passend, benutze ich auch häufig. Der Detektiv versucht aber häufig auch Verbrechen aufzuklären. Ich könnte noch aufwarten mit dem Bild der Schatzsucherin, des Schatzsuchers. Zu warten darauf, dass Schätze sich zeigen und die dann vielleicht besonders hervorzuheben oder so oder ihnen Rahmenbedingungen zu schaffen, dass sie zum Glänzen, zum Scheinen kommen können, sozusagen. Das wär noch mal so `ne sehr ähnliche Metapher. Also tatsächlich die Suche oder die Bereitschaft dazu, dass sich kreative Impulse zeigen, mit denen wir vielleicht auch selbst vorher gar nicht gerechnet haben, so.

TB: Ist das vielleicht auch `ne gute Leitlinie im Umgang eben was man beachten muss, wenn man jetzt auch als Musiktherapeutin, als Musikgeragoge oder auch einfach als Angehörige Person mit Menschen mit Demenz umgeht, weil es ja sehr komplex ist. Man darf nicht überfordern, man muss aber trotzdem irgendwie die richtigen Fährten auslegen. Kannst du da vielleicht versuchen, noch so einen Eindruck zu spiegeln, was gut funktioniert, was so Dinge sind, worauf ich achten könnte?

JS: Ja, also die Vorbereitung auf diese Arbeit liegt in einer sehr breiten Ebene, indem man zum Beispiel viele Lieder und Musiken kennt. Lern einfach Lieder, finde Gefallen an dieser Musik, so dass du dann ganz frei und offen bestückt mit ganz viel Erfahrung und Wissen dann in so eine Situation gehen kannst. Also praktisch Vorbereitung auf einer ganz breiten Ebene, um dann ganz frei und offen in diese Begegnung gehen zu können, die dich dann ja auf wirklich vielleicht auch überraschende Pfade führt, so.

TB: Je größer der Werkzeugkasten an Erfahrung und an Wissen, desto flexibler und reichhaltiger kann jeder Mensch reagieren. Das führt uns eigentlich ganz gut zur großen Politik, nämlich zur Bundesinitiative Musik und Demenz, die ja auch solche Ziele verfolgt, nämlich solche Werkzeugkisten anzureichern gesamtgesellschaftlich. Es ist ein Zusammenschluss zwischen dem Deutschen Musikrat, der Deutschen musiktherapeutischen Gesellschaft, der deutschen Gesellschaft für Musikgeragogik und dem Bundesmusikverband Chor und Orchester mit der Idee eben auf allen Ebenen Musik und Musiktherapie bei Menschen mit Demenz zu stärken. Wir hören gerade mal einen kleinen Ton von Norbert Groß. Er ist Mitarbeiter vom Landesmusikrat Hamburg und Koordinator dieser Initiative und spricht über die Ziele.

Norbert Groß: Wir sind auf dem Weg, Strukturen zu schaffen, die nachhaltig und verlässlich dazu beitragen, dass Menschen mit Demenz in Deutschland bedarfsgerechte Angebote unterschiedlichster Art, verwirklicht von unterschiedlichsten Menschen, von Profis und auch Ehrenamtlichen mit unterschiedlichen Kompetenzen, wahrnehmen können, damit ihre Lebensqualität gesteigert wird. Damit dem Verlauf demenzieller und neurodegenerativer Erkrankungen präventiv vorgebeugt werden kann und damit vielleicht auch an dieser oder jener Stelle ein bisschen Heilung geschehen kann. Und damit nicht zuletzt auch die Teilhabe mit ihren Mitmenschen, mit ihren Angehörigen auch im Rahmen gesellschaftlich kultureller Begebenheiten ermöglicht wird.

TB: Ja, Jan, Da steckt jetzt schon vieles drin, über das wir auch schon gesprochen hatten. Teilhabe, Lebensqualität, Aufklären, Prävention, wie versucht denn die Initiative, deren Gründungsmitglied du ja auch bist und die du auch stark auf dem Weg bringst, weiterhin, wie versucht ihr, diese Ziele umzusetzen?

JS: Ja, ich muss noch mal kurz auf den Ausspruch von Norbert Groß zurückkommen. Der hat auf so `ne schöne behutsame Art gesagt, `auch vielleicht ein bisschen Heilung´. Ja, und damit, mit dem, wie seine Stimme da klingt und wie er das formuliert, hat er eigentlich gut getroffen, was an Heilung da zu erwarten ist, nämlich wirklich einfach gute Momente, heilsame Momente, aber natürlich nicht der Anspruch Demenz zu heilen. Und aber eben auch die anderen, die ganzen anderen Aspekte von Prävention, gesellschaftlicher Teilhabe und so weiter. Gerne noch mal zurückspulen, sich diesen Ausschnitt noch mal anhören, der ist sehr verdichtet, eigentlich das, was wir erwarten müssen von einer Gesellschaft, die auf einem dermaßen hohen kulturellen Niveau angelangt ist, wie unsere oder wie die Gesellschaften der Industriestaaten, Gesellschaften, die sich so sehr brüsten, hoch entwickelte Gesellschaften zu sein, ist da wirklich wunderbar zusammengefasst, was man erwarten kann an zusätzlichen Unterstützungsangeboten im Alter, um auch diesem Anspruch, wir sind hier gut und auch human entwickelte Gesellschaften. Ich finde das kulturelle Niveau einer Gesellschaft kann man auch ablesen an der Art, wie sie mit hilfsbedürftigen Menschen umgeht, die nicht mehr einzahlt, sondern die praktisch wirklich auf Versorgung angewiesen ist. Und wenn man das dann reduziert auf „satt, warm, sauber Versorgung“, also auf reine körperliche Notversorgung sozusagen, dann missachtet man oder dann übersieht man wirklich den existenziellen Beitrag, den die Künste und mit Blick auf Demenz insbesondere die Musik leisten kann, auf allen Ebenen.

TB: Welche Forderungen lassen sich daraus ableiten? An, zum Beispiel die Politik.

JS: Ja, ja, also, zunächst die Forderung, dass Musikbegleitung, jetzt in unserem Fall, Menschen mit Demenz brauchen natürlich noch viel mehr und das kriegen sie auch durch andere Akteure, aber wir können die Musik vertreten. Die Forderung, dass Musikbegleitung auf allen Ebene der musikalischen und musikbasierten Angeboten vorgehalten und zur Verfügung gestellt werden kann. Das sind eben zum Beispiel in meinem Beispiel musiktherapeutische Angebote für diejenigen, die tatsächlich auch Therapiebedarf zeigen. Das sind aber auch wirklich ganz niedrigschwellige Teilhabe-Angebote, wie Konzerte, die Demenz sensibel konzipiert und organisiert und durchgeführt werden. Das sind auch Bildungsangebote, die durch Musikgeragog:innen Musik auch wirklich noch in diesem Vermittlungssinne zum Beispiel Musikunterricht für Menschen mit Demenz. es gibt zum Beispiel von Geigenunterricht für Menschen mit Demenz, Klavierunterricht für Menschen mit Demenz, zur Verfügung stellen. Das heißt Musik auf allen Ebenen des Musiklebens sozusagen Menschen weiterhin zur Verfügung zu stellen, das ist nicht praktisch so einen Bruch gibt. Jetzt bin ich krank und hilfebedürftig oder sowas und jetzt plötzlich habe ich gar nicht mehr Teil an all dem Reichtum, den die Gesellschaft eben auch über Chöre, Konzerte, Aktivitäten zur Verfügung stellt, Workshops und so weiter.

TB: Es gibt ja die nationale Demenzstrategie, also eine von der Bundesregierung hauptsächlich vorangetriebene Planung oder Strategie, wie Menschen mit Demenz in Zukunft aufgefangen werden oder mit Angeboten versorgt werden sollen. Da ist jetzt die Bundesinitiative Musik und Demenz auch Teil davon, aber vermutlich ist noch nicht alles so weit, wie ihr euch das wünscht. Kannst du denn verdeutlichen, an welchen Stellen ihr euch noch etwas mehr Resonanz oder vielleicht auch etwas mehr Engagement wünschen würdet, damit diese ganzen Dinge an Lebensqualität und an Angeboten auch auf den Weg gebracht werden und eben nicht nur an einzelnen Personen in Anführungsstrichen hängen bleiben, die eben mit viel Herzblut in ihrer Freizeit oder in ihrem Fachbereich solche Ziele umsetzen.

JS: Ja, alle Träger der Bundesinitiative Musik und Demenz sind Akteur:innen in dem Netzwerk der nationalen Demenzstrategie. Das sind der Deutsche Musikrat, die Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft, die Deutsche Musikgeragogische Gesellschaft und der Bundesmusikverband Chor und Orchester. Wir repräsentieren praktisch die Fülle musikalischer Angebote und haben zu einer, man könnte sagen, Musikalisierung der nationalen Demenzstrategie beigetragen oder wollen dazu beitragen. Das heißt, wir wollen diesen wichtigen, aber bisher noch wenig beachteten, also Deutschlandweit noch nicht ausreichend beachteten Bereich der Musik dort in diese bundesweiten Aktivitäten und Entwicklungen einbringen und dafür sprechen. Das hat natürlich auch finanzielle Seiten. Also wir fordern unbedingt auskömmliche Finanzierung für Musikangebote in allen Bereichen, von der Amateurmusik bis zur Musiktherapie und entsprechende, auch ressortübergreifende Regelungen. Das kann für die Musiktherapie zum Beispiel bedeuten, dass es tatsächlich auch eine Kassenzulassung geben muss für musiktherapeutische Angebote. Das kann aber auch heißen, dass es eben in Musikschulen entsprechende Förderangebote gibt, die auch eben vielleicht eine Bundesfinanzierung bekommen oder auf anderem Wege finanziert werden. Also die Frage nach der Finanzierbarkeit dieser Angebote ist `ne sehr, sehr brennende Frage und aber auch eine unserer größten Forderungen.

TB: Und die muss natürlich auch sich wiederfinden in den entsprechenden Haushalten von Bund, Kommunen und so weiter.

JS: Genau, genau und am Ende sprechen wir, wenn wir von Musik und Demenz sprechen, von ganz, ganz kleinen Zahlen. Also wir brauchen wirklich ja verglichen mit anderen Anstrengungen, die für Menschen mit Demenz aufgeboten werden, also zum Beispiel auch in der medizinischen Versorgung, brauchen wir ja nicht so Unsummen, ja, und es überrascht mich manchmal, dass wir da wirklich davon keinen Unsummen sprechen. Also sage ich mal für Bundeshaushaltsthemen sind das Peanuts, würde man sagen, von denen wir unglaublich profitieren können, von denen die Menschen mit Demenz unglaublich profitieren könnten. So überrascht mich manchmal, dass es trotzdem so schwierig zu sein scheint, das entsprechende Geld aufzubringen in seinem so reichen Land.

TB: Ja und da glaub das muss man noch mal unterstreichen, die Heilmittelverordnung ist momentan so gestrickt, wenn ich das richtig verstanden hab, dass zwar Musiktherapie in Pflegeeinrichtungen unterstützt wird und finanziert wird, aber ich meine nicht im ambulanten Bereich. Ist das der Stand, der immer noch zählt, Jan?

JS: Genau, also grundsätzlich ist Musiktherapie in der Regelversorgung auch in Pflegeheimen nicht vorgesehen, sondern nur wirklich als zusätzliches Angebot, was Pflegeträger sozusagen über ihre Umsätze mitfinanzieren können. Es ist aber allerdings, es gibt `ne leichte Empfehlung für Musiktherapie in den medizinischen Leitlinien, immerhin. Aber das hat eben noch nicht dazu geführt, dass es in die Regelversorgung aufgenommen wurde. Im ambulanten Bereich schon mal gar nicht. Und deswegen ist es einfach sehr, sehr unterschiedlich, welche Pflegeheime Musiktherapie vorhalten und welche nicht. Es gibt dann regionale Programme wie in Hamburg, die besondere stationäre Demenzbetreuung, die sehen das vor, da tun sich dann einzelne Regionen in der Republik, tun sich dann so `n bisschen hervor und zeigen dann, dass sie da guten Willens sind. Aber es ist einfach noch nicht in der Regel Versorgung drin. Sonst hätten wir standardmäßig in jedem Pflegeheim eine Musiktherapeutin.

TB: Und davon sind wir zumindest noch weit entfernt. Jetzt könnte man ja sagen, ja, das klingt ja alles schön und die einen Spieler von Jan, die waren sehr eindrucksvoll, aber der Jan ist hat ein netter Kerl, der kommt wahrscheinlich gut mit Leuten aus. Wer weiß denn oder woher sollen wir denn wissen, dass das tatsächlich auch für andere Menschen und Musiktherapie allgemein gilt, Stichwort Forschung. Also tatsächlich ist es so, dass es eine ganze Menge an Studien schon gibt, die nicht nur von dir stammen zu dem Thema. Und auch hier können wir einmal einen kleinen Ton hören von Professor Doktor Alexander Wormit. Er hat für die Bundesinitiative eine Potenzialanalyse erstellt, unter anderem, hat also so ein bisschen gesichtet und zusammengefasst, was es an Ergebnissen gibt und tut das jetzt auch noch mal in aller Kürze hier für uns im O-Ton.

Alexander Wormit: Ich kann vor allem für die Musiktherapieforschung sprechen und hier war vor allem im Vordergrund die Entwicklung, Erprobung und auch Implementierung von musiktherapeutischen Interventionen in der Altenpflege. Ich glaub schön zusammengefasst sind musikbasierte Interventionen in dem Cochrane Review von van der Steen. Ja, die Arbeitsgruppe hat herausgefunden, es waren über 20 Studien, dass musikbasierte Interventionen vor allem eine Verringerung der Depressivität und der Verhaltenssymptome erzeugt.

TB: Ja, das sagt Professor Alexander Wormit, er ist Professor für klinische Musiktherapie an der SRH Hochschule Heidelberg und spricht hier von einer Studie des Cochrane Netzwerks, die tatsächlich auch verschiedene Studien, eben 22 an der Zahl, ausgewertet haben. Und ich versuche mal, das Ergebnis runterzubrechen, etwas flapsig auf den Begriff. Musiktherapie hat Menschen glücklicher gemacht oder zumindest weniger unglücklich. Jan, würdest du dem zustimmen oder ist das zu einfach runtergebrochen?

JS: Genau das würde glaub ich einfach die entsprechenden Entscheider noch nicht ganz überzeugen. Ich glaube die brauchen tatsächlich Evidenz im Sinne von wirklich messbaren Ergebnissen, Output, einen richtigen wissenschaftlichen Beleg der Wirksamkeit von musikbasierten Interventionen, wie der Alex Wormit sagt, der ja eben diese Potenzialanalyse gemeinsam mit dem auch Mitbegründer der Bundesinitiative, Professor Doktor Kai Koch gemacht hat. Also, das heißt, nur glücklich, das ist für uns der Wert, an den wir unsere Arbeit im Alltag messen. Also sind die Menschen, zeigen sie besseres Wohlbefinden, zeigen sie ausgeglichenere Stimmungen und so weiter? Für die Forschung brauchen wir so ein bisschen härtere Kriterien, also wirklich sowas wie definierte Auflistung der Begleitsymptome der Demenz, Depressivität, hat Alex Wormit genannt, Verhaltensprobleme und so weiter und dann eben auch `ne messbare Reduktion dieser Begleitsymptome von Demenz. Und da sind wir von der Forschung her relativ weit. Ja, man muss das gut auch kommunizieren und weiter publik machen, solche Cochrane Reviews, das ist richtig, das ist richtig harte Währung, ja. Und wenn die wirklich zeigen, es gibt wirklich einige gute Studien, die unter guten Bedingungen, also nach den Gütekriterien der Wissenschaft, so durchgeführt worden sind, und die zeigen, da sind Menschen mit Demenz signifikant weniger depressiv, zeigen weniger herausforderndes Verhalten. Herausforderndes Verhalten ist wirklich eine große, große Problematik, zum Beispiel im Pflegeheim, ja. Wenn jemand viel schreiend umherläuft oder sowas, dann ist es vielleicht gar nicht unbedingt sein Problem, aber eben ein großes Problem für die Umgebung. Ja, und so haben wir einige Begleitsymptome der Demenz, wenn wir sagen, wir können Demenz an sich nicht heilen, ja, vielleicht allenfalls so Plateaus schaffen, die `n bisschen länger so ein Niveau halten. Aber wenn wir die Begleitsymptome reduzieren helfen zum Beispiel, und auch messbar beeinflussen mit Musik, dann haben wir harte Währungen in der Hand.

TB: Also ich, ich versuch mal zusammenzufassen. Es gibt eine ganze Menge von Studien, die auch teilweise sehr valide Ergebnisse vorweisen können. Insgesamt gibt es aber schon noch `n Bedarf, da tiefer reinzugehen. Die Studien mit noch mehr Probandinnen und Probanden durchzuführen, vielleicht spezifische Fragestellungen noch zu vertiefen. Aber es gibt eben auch schon ganz viel Wissen, was man erstmal in der Breite verfügbar machen muss und auch zu diesem Aspekt hören wir noch mal kurz Professor Wormit.

AW: Klar kann man immer noch irgendwie differenzierter forschen und noch mehr in die Prozesse, wie das im Gehirn verarbeitet wird, gehen oder in andere Aspekte reingehen. Ich glaub wichtig ist, um die Lücke zu schließen, dass es wirklich jetzt das Potential und der Wissensstand selbst, da es genutzt wird, weil mit diesem Wissensstand kann man wirklich auch musikbasierte Interventionen qualifiziert etablieren und auch voranbringen. Was ja auch die Bundesinitiative ja versucht zu tun und hier auch hoffentlich noch mehr die Politik mit einbeziehen kann und auch hier Mittel zur Verfügung stehen können.

TB: Ein Projekt, was das tut, möchte ich hier an der Stelle noch vorstellen. Es ist ein Projekt des Bundesmusikverbands Chor und Orchester, der ja auch Teil der Bundesinitiative Musik und Demenz ist. Dieses Projekt heißt „Länger fit durch Musik“ und hat sich spezialisiert auf die Förderung von Laienensembles. Also es geht jetzt hier nicht nur um Musiktherapie im engeren Sinne, sondern es geht ja auch einfach darum, in der Gesellschaft dieses Wissen verfügbar zu machen und anzuregen. Finanziert wird dieses Projekt im Rahmen der nationalen Demenzstrategie, über die wir ja auch schon gesprochen hatten, vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das ist das Ministerium von Frau Lisa Paus, und das Bundesministerium für Gesundheit hat da auch noch mal etwas zugeschossen. In dem Fall ist also die Forderung an die Politik erfüllt worden, es auch entsprechend zu unterstützen. Was dieses Projekt jetzt aber genau ausmacht, wie Laienmusik da gefördert wird und welche Unterstützung gegeben wird, das erzählt uns hier Stefan Donath. Er ist Geschäftsführer des Bundesmusikverbands Chor und Orchester.

Stefan Donath: Zunächst regt unser Projekt natürlich durch vielfältige Information und Materialien dazu an, sich aktiv mit dem Thema Demenz zu beschäftigen. In den Instrumentalensembles und Chören entsteht ein Dialog. Da tauchen dann Fragen auf, wie könnte unser Ensemble hier aktiver werden? Wer von den Sängern und Musikerinnen hatte vielleicht bereits Kontakt mit dem Thema? Gibt es sogar einen persönlichen Bezug? Das ist ein wichtiger erster Schritt, zu erkennen, dass wir alle da etwas für tun können, dass es uns auch alle eben auch angeht. Die Ensembles, die sich für eine Förderung in unserem Programm interessieren, begleiten wir vom Antrag bis zum Projektabschluss. Das beginnt also mit der Hilfe bei formalen Fragen über Beratung zur Kooperation bis hin zur Unterstützung bei der Sichtbarmachung des Engagements und des Projekts. „Länger fit durch Musik“ fördert in zweierlei Hinsicht: musikalische Initiativen für und mit Menschen mit Demenz. Zum einen werden also die Projekte finanziell mit bis zu neuntausendfünfhundert Euro unterstützt. Sie können also Honorarkräfte engagieren. Sie können neue Musikinstrumente anschaffen oder eben auch geeignete Räumlichkeiten anmieten. Zum anderen erhalten die Verantwortlichen eine intensive begleitende Weiterbildung, das ist ganz wichtig. Hierzu haben wir ein Expertenteam aus allen relevanten Fachbereichen zusammengestellt, das ganzjährig in den begleitenden Themenabenden fachliche Impulse setzt und zu Gesprächen und Beratung zur Verfügung steht. Bei regelmäßigen moderierten Stammtischen können sich dann die Projektträger zusätzlich austauschen und von den gegenseitigen Erfahrungen profitieren. Wir sehen hier auch, dass es zwischen den Projekten Kooperation gibt, Notmaterial wird beispielsweise geteilt, die Projekte besuchen sich gegenseitig und beraten sich untereinander, was natürlich sehr zu begrüßen ist. Übrigens kann von dem gesammelten Wissen auch die ganze Amateurmusik profitieren. Wir stellen nämlich einen Methodenkoffer und Inspiration, wollen auch eine online Schulung für Musikensembles entwickeln, damit hier die Berührungsängste weiter abgebaut werden und sich mehr Ensembles trauen und Mut fassen, sich ebenfalls für Menschen mit Demenz zu engagieren.

TB: Ein Baustein, ein wichtiger Baustein auf dem Weg dazu, wie wir als Gesellschaft den richtigen Rahmen bieten können für Menschen mit und ohne Demenz, um gemeinsam Teilhabe und Gemeinschaft zu erleben. Stefan Donath war das, vom Musikverband Chor und Orchester e.V. über das Projekt „Länger fit durch Musik“. Es läuft noch mindestens bis Ende 2026, hoffentlich auch noch darüber hinaus. Und es wurden auch schon etliche Projekte gefördert, 21 an der Zahl Stand Jetzt in ganz Deutschland. Darunter sind Chöre, in denen Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Senioren Lieder singen, oder existierende Chöre, die in Pflegeeinrichtungen gehen und dort Konzerte veranstalten. Unter Bundesmusikverband.de findet ihr da alle Informationen, da werden auch die Projekte im Einzelnen noch mal vorgestellt, auch das werden wir euch in den Shownotes verlinken. Ja Jan, wenn ich jetzt zugehört hab hier bei diesem Podcast und den Eindruck hab, das klingt ja total spannend, vielleicht bin ich selbst Musikerin oder Musiker oder ich hab betroffene Personen oder ich sag einfach `ja, in meiner Nachbarschaft könnt ich ja auch mal was machen`, jetzt mal unabhängig von „Länger fit durch Musik“, was auf jeden Fall ein guter erster Einstieg wäre, was wäre denn dein Tipp, was kann ich jetzt machen, wo finde ich gute Informationen oder Menschen die mich da unterstützen können?

JS: Mhm, also es gibt verschiedene Programme, die Fortbildungen anbieten für Menschen, die musikalisch interessiert sind und Menschen mit Demenz begleiten können. Hier in Hamburg haben wir zum Beispiel die sogenannten Musik-Paten. Das sind Ehrenamtliche, die geschult werden, musikalische Begleitung in Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz anzubieten. Und auch von der „Bundesinitiative Musik und Demenz“ haben wir ein wirklich solides, fundiertes Schulungsprogramm entwickelt, was deutschlandweit gebucht werden kann - da kann man auch über unsere Homepage hinfinden - das deutschlandweit gebucht werden kann, um praktisch musikalische Fortbildung, so wie das Stefan Donath auch beschrieben hat, zu erfahren, um einfach zu sagen, „hm, ich kenn mich irgendwie mit Musik aus, ich will ein bisschen was in Richtung Demenz vielleicht machen“, ehrenamtlich oder nebenberuflich oder so. Und da kann man dann entsprechende Kenntnisse erwerben zu demenzsensibler Musizierpraxis. Da gehört `n bisschen was dazu. Das ist nicht trivial. Das macht man nicht mal so eben. Es gibt da `n paar Naturtalente, aber es gibt eben auch wirklich Expertenwissen und gut gesetzte Erfahrungen, die wir weitergeben können. Dann finde ich es wirklich auch immer wichtig zu schauen, auf welcher Ebene möchte ich ansetzen? Möchte ich das ehrenamtlich machen, möchte ich vielleicht eine Weiterbildung besuchen und das vielleicht nebenberuflich oder sogar hauptberuflich anbieten? Oder möchte ich wirklich einen qualifizierten Musikberuf lernen, wie zum Beispiel Musiktherapie studieren oder so, also wo man dann praktisch ja Profi wird. Und das führt auch zurück zu dem Forderungskatalog, den wir von der Bundesinitiative Musik und Demenz haben. Wir müssen wirklich auch gucken, wie sind die Ausbildungsniveaus? Also dass wir wirklich sehen, Musik findet eben vom Amateurwesen bis hin zum hochprofessionellen Expertentum statt und dazwischen gibt es Wechselwirkungen und Unterstützungen, sodass wir Profis eben auch Amateure schulen können zum Beispiel und so weiter. Das ist einfach auch ganz wichtig zu sehen, `ah ja, es gibt da tatsächlich Berufe`, die können das, die machen das, die haben das erforscht, und von denen können wir gesamtgesellschaftlich profitieren und das runter skalieren zu niedrigschwelligeren Angeboten, zum Beispiel im Quartier oder im Chor oder in der Musikschule oder sonstwo.

TB: Jan. Damit kommen wir zum Ende dieses Podcasts. Und ich würde dir gerne die Gelegenheit geben, in Teilen hast du das schon, aber vielleicht noch nicht so prominent wie jetzt am Schluss, uns eine Vision zu geben. Wenn wir uns noch mal ins Bewusstsein rufen, bis 2050 knapp 3 Mio. Menschen werden mit Demenz umgehen, in ihrem Alltag, zusätzlich der Angehörigen natürlich, die das betrifft. Blick doch mal optimistisch in die Zukunft, wie wäre die Vision einer Gemeinschaft, die diesen Menschen allen einen lebenswerten Alltag schenkt? Und welche Rolle würde die Musik da drin spielen?

JS: Ja, die Musik gibt uns Gelegenheit zu hören und einander wahrzunehmen. Die gibt uns Gelegenheit, wirklich uns tief und menschlich zu begegnen, und zwar auf allen Ebenen des Menschseins, wirklich vom hochentwickelten Intellekt bis zu ganz, ganz elementaren Gefühlsqualitäten und affektiven Erleben. Also insofern könnte so ne positive Vision sein von Menschen mit Demenz so viel zu lernen, dass wir Musik auf dieser ganz elementaren Ebene des Mitmenschlichseins, ja des gemeinsamen Anwesend-Seins so nutzen, wertschätzen können, und vielleicht auch so `n bisschen aus diesem überdrehten, hyperkognitiv, extrem beschleunigten, an dem auch viele nicht Demenzbetroffene unserer Gesellschaft leiden und dann zum Beispiel depressiv werden, da vielleicht so `n bisschen auszusteigen, bisschen zu entschleunigen, andere Ebenen des Menschseins wieder zu entdecken, wieder zu würdigen, das Gefühl, den Körper, dass es sich nah sein, das in Gemeinschaft sein. Und ich glaube, dann würde praktisch über den Weg der Demenz, die uns ein Stück weit auf den Spiegel vorhält, die Gesellschaft insgesamt vielleicht ein bisschen wieder zu sich kommen – und das trotz und in Krisen. Also das ist nicht etwas, was man dann beiseitelegen würde, weil es ja nur so schön und „nice to have“ wäre so, sondern ich glaube, das ist ganz, ganz existenziell, wie wir auch an der Bedeutung der Musik in der Corona Krise gelernt haben.

TB: Von demenziell erkrankten Personen lernen und die Schatzsuche auch in unserem Inneren vorwärts treiben durch diese Menschen, das ist das Fazit von Jan Sonntag, dem Musiktherapeuten und Forscher mit Expertise und wie wir gemerkt haben, ordentlich Herzblut und Leidenschaft für dieses Thema Musik und Demenz. Danke Jan, dass du heute mein Gast warst.

JS: Sehr, sehr gern und ich hoffe, dass das Wirkung zeigt.

TB: Ja, das hoffe ich auch. Mein Name ist Thilo Braun, ich sag auch Danke an alle, die uns hier zugehört haben und freu mich auf ein nächstes Mal in diesem Podcast des deutschen Musikrats. Ciao.

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DEUTSCHER MUSIKRAT e.V.

Generalsekretariat

Schumannstraße 17

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